Montag, 6. Januar 2025

BLUTSPRITZER AN DER GITARRE




 BLUTSPRITZER AN DER GITARRE

Wenn er nicht gestorben ist, so spielt er sich die Finger immer noch blutig.

An Tøles Gitarre waren stndig Blutspritzer zu sehen. Wenn er Songs wie „Deutsche Fette Kuh“ von Jürgen Zeltinger auf seiner Klampfe spielte, schlug er die Gitarrenseiten ohne Plektron mit den Fingern dermaßen hart an, dass er sich die Haut neben den Fingerngeln einriss und frher oder spter anfing zu bluten. Das strte ihn nicht. Er spielte einfach weiter und ließ sich nichts anmerken, hielt trotz starker Schmerzen sogar den Tonus der Stimme aufrecht. Er war schmerzresistenter als ein Fakir. Wenn Leute mit ihm im Zimmer saßen, auf einem Punk-Sit-in oder einer Party, so war es ihm egal, wenn das Blut spritzte, und er spielte in gewohnt aggressiver Weise, bis die Finger und die Gitarre wirklich blutig aussahen. Irgendwann wurde er darauf hingewiesen:

„Ey, deine Gitarre ist blutig!“
Tøle antwortete nicht darauf, denn beim Gitarrespielen war er wie ein Autist. Das Blut wurde schließlich zur Kruste, die Blutspritzer vergilbten, wurden braun und pissgelb.

Seine Bloody Gitarre war nicht besonders wertvoll. Er hatte frher in der Teenagerzeit von mir bei einem Tauschgeschft eine E-Gitarre bekommen. Ich weiß nicht, was aus dieser E-Gitarre geworden ist.

Tøle kreierte durch sein Geschrammel einen eigenen Stil. Andere machten es ihm nach, bis es als positives Zeichen galt, wenn beim Gitarrespielen Blut floss, auch wenn nur in Maßen. In gleicher Weise zeigte meine hellbraune Akustikgitarre, die ich von meinen Eltern zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, bald erste Blutspuren, ohne dass Tøle jemals mit der Gitarre gespielt hatte. Die Flecken konnten also nur von mir selbst stammen. Mit der Zeit verloren die Spritzer gleichfalls an Intensitt und wirkten auf dem preiswerten Holz ockerpissgelb.

Die Finger konnten sogar bluten, wenn ein Plektron benutzt wurde, wenn es falsch oder umstndlich gehalten wurde. Egal ob an den Saiten einer E-Gitarre, Western- oder sogar Nylongitarre, du konntest dir berall die Haut aufratschen und lngst verheilte Wunden wieder aufreißen. Die Gewalt war entscheidend.

Doch bei Tøle war es wirklich krass. Er ließ sich nichts anmerken, wenn das erste Blut austrat, spielte einfach immer weiter und verzog keine Miene. Als die ersten Hinweise kamen wie „Du blutest“ oder

„Da ist Blut an der Gitarre!“,
da schien er innerlich zu l
cheln, spielte weiter und tat so, als hätte er nichts gehört.

Er ließ nur ungern Gste an seine blutige Gitarre. Nchtern ekelten sich ohnehin die meisten, die sonst jede Klampfe sofort in die Hand nahmen.

Schon bald zog Punk-Tøle von der Wik nach Gaarden in die Kirkestraße. Er wohnte hier fortan in einer Zweier-WG mit einem ehemaligen Schilkseer. Ich besuchte die WG ein paar Mal, nutzte die Gelegenheit, um mit dem Fahrrad von Friedrichsort nach Gaarden zu fahren.

Ich wunderte mich immer wieder über Tøles Musikgeschmack und fragte mich, wo er seine Platten herzauberte. Dazu gehrten Bands wie Marginal Man, Attak, F.U.’s, The Easter, Dag Nasty, Uniform Choice und Mega City Four. Auch Tøle verkaufte seine Punk-Perlen, als er in Geldnot war. Das bliche Syndrom, das fast jeder Punk durchlebte. Geldnot war dafr verantwortlich. Jetzt waren seine Punk-Platten weg, obwohl er weiterhin nichts anderes als Hardcore-Punk hrte. Tøle hrte ohne die LPs auch in Zukunft Punk, weil er tonnenweise Punk-Tapes liegen liegen. Nachdem er gar die Landspeed Records von Hsker Dverußert hatte, besorgte er sich die Scheibe spter erneut.

Das Arbeitsamt steckte mich eines Tages in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Das war in veralteten Brorumen in der Nhe der Spitze der Kieler Frde auf Ostuferseite. Da traf ich pltzlich Tøle wieder. Wir saßen zusammen mit rund 30 arbeitslosen Kielern in ein paar Pseudobros und hatten nicht den Eindruck, dass irgendwer uns beruflich weiterhelfen wollte. Ganz im Gegenteil. Als Tøle schließlich eine große Fliege an der Decke sitzen sah, behauptete er felsenfest, das sei eine Kamera, mit der wir ausspioniert werden sollten. Dermaßen groß war das Misstrauen gegenüber dem Arbeitsamt.

Manchmal erweckte er den Eindruck, er sei eine Art Minus-Punk. Doch dafr war er insgesamt zu gutmtig. Was Tøle auf seiner Gitarre so spielte, war im Prinzip der pure Terror, und es gefiel nur seinesgleichen. Wir hatten Angst, dass er sich eine Blutvergiftung zuziehen knnte. Sogar das Thema Aids kam auf, wenn die blutverschmierte Gitarre am spten Abend auf einer fortgeschrittenen Party die Runde machte. Denn im Suff wollten die anderen Punks und Pseudos mal die Klampfe in die Hand nehmen, um zu zeigen, was sie draufhatten. Trotzdem konnte niemand so konsequent singen wie Tøle. Er wirkte wie ein versteinerter Protestsnger.

Da Tøles Gitarrespiel ohne Plektron Schule machte, und alle ohnehin schnellen Punk und Hardcore bevorzugten selbst mit der Akustikgitarre , so konnte es passieren, dass andere, Tøles Stil imitierten. Sie hackten auf der Gitarre herum, ratschten mit Fingern, Fingerngeln, Fingerkuppen, Handballen, Faust und Mittelhandknochen oder sogar ergnzend mit Pfennigstcken als Plektron. Jetzt konnten auch bei den anderen Gsten die Finger anfangen zu bluten, bis die Gitarre das Blut mehrerer Punks auf dem Korpus trug, auf dem Gitarrenhals und auf den Saiten. Im Extremfall wurde die Gitarrensession zum Blutbad, erzeugt von blutigen Fingern und einer berharten und unreflektierten Spielweise und Anschlagtechnik. Von Fingerpicking war da keine Spur, was jeder anstndige Gitarrenlehrer gefordert und gefördert htte. Ein solcher würde wohlmglich durch Wegnahme der Gitarre das Inferno un- terbrechen oder laut „Halt!“ oder „Stopp!“ rufen, denn all das hatte ohnehin nichts mit wohlklingender Gitarrenmusik zu tun. Es war Punkrock pur auf der Akustikgitarre, auch wenn im Hintergrund schon wieder Hsker Dlief. 

 

#punk #pogo #hardcore #blood #guitar #fcknzs

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