Freitag, 26. März 2021


MORE PSEUDO 


Das Razzia-Konzert in Kiel? 

(Gegendarstellung zum Kapitel aus PSEUDO 1: „Ein Punkkonzert zur Kieler Woche“) 




Ich dachte ja viele Jahre, mein erstes Punkkonzert sei Beton Combo in einer leergeräumten Privatwohnung in der Harmsstraße gewesen. Das stellte sich später als Trugschluss heraus. Mein erstes Konzert war Razzia. Es fand nicht in der Harmsstraße statt, wie ich es jahrelang  dachte, sondern in der Straße Fleethörn zwischen Hiroshimapark und Knooper Weg in einem Hinterhaus auf dem Hinterhof. Ich war zu dem Konzertabend sturzbetrunken erschienen und weiß nicht mehr wer mich zu der Veranstaltung mitgenommen hat. Ich bin mir aber sicher, dass ich nicht alleine zu dem Konzert ging, sondern dass wir mit einem Grüppchen Teenage Punks dort aufschlugen, wahrscheinlich mit den Wiker Punks. Entweder hatte mir jemand absichtlich einen falschen Bandnamen genannt, oder die anderen Punks wussten es selbst nicht, oder waren zu besoffen, oder wurden selbst abgelinkt oder falsch informiert, was den Bandnamen betraf. Vielleicht dachte wieder jemand: „Dem Pseudo erzählen wir mal sonst was, damit er denkt er ist auf dem falschen Konzert.“ Viele Jahre des Alkoholmissbrauchs und weitere Undiszipliniertheit sowie eine ungeordnete Lebenshaltung und Scheißegalmentalität ließen mich über viele Jahre felsenfest glauben, dass mein erstes Live-Konzert der Auftritt der Westberliner Punkband Beton Combo war. Als ich später die Chance erhielt ein Bandmitglied von Beton Combo nach dem Konzert in Kiel zu fragen, sagte der Mann mir: „Kann mich nur noch dunkel erinnern.“ Daraus schloss ich wiederum, dass ich auf dem falschen Dampfer war. Deshalb entstand der Verdacht, dass Beton Combo nie in Kiel gespielt haben. Ich rätselte weiter, wie dieser Irrtum zustande kommen konnte und fragte nach all den Jahren ein paar Leute von früher in Kiel. „Sag mal, weißt du welche Band damals zur Kieler Woche in Kiel in der Harmstraße gespielt hat? Ich dachte immer, das waren Beton Combo.“ Da behauptete einer der alten Punks felsenfest, „Das muss hundertpro Hass gewesen sein.“ Ein anderer Punk behauptete, „Das waren Blut + Eisen aus Hannover!“ Es herrschte stärkste Verwirrung unter den Ex-Punks und den ehemaligen Nachwuchspunks, die inzwischen ihrerseits zu Altpunks herangealtert oder vollkommen aus der Punkszene ausgestiegen waren. Einige der alten Punks waren bereits tot und konnten kein besseres Zeugnis mehr ablegen. Schließlich bestätigte mir Goldie neulich, als ich ihn am Falkensteiner Strand an der Gastronomie traf, mit dem ich damals united im Damper Club Hausverbot erhielt, dass es nicht Beton Combo war. Ich schilderte dem Kieler Altpunk die näheren Umstände des Abends, Details wie die Tatsache, dass von den Nachwuchspunks fairerweise 2 D-Mark Eintritt genommen wurden und dass wir nach dem Konzert einen Fischstand ausraubten: „Der Auftrittsort war eine leer geräumte Wohnung in der Harmstraße. Und an der Kasse an der Wohnungstür saßen tätowierte Alt-Punks in Muskelshirts. Einer von denen sah aus wie Zico.“ Da schrie Goldie wie aus der Pistole geschossen: „Razzia!“ Schlussendlich zauberte der Ex-Punk Rensing, der inzwischen bös gealtert war, einen alten, vergilbten Flyer hervor, der das besagte Konzert  ankündigte, und siehe da, der Name Beton Combo stand tatsächlich nicht auf dem Flugblatt, wie wir früher sagten. Stattdessen stand Razzia als Top-Act auf dem Flugblatt, sowie die Vorband Blut + Eisen und die Kieler Schüler-Punkband Scapegoats, bei der Rensing selbst spielte, zusammen mit Ralle und Gulp. Doch dieser Konzertabend fand nicht in der Harmstraße statt, sondern im gut zwei Kilometer entfernten Fleethörn 59, rechts vom Rathaus im Künstlerhaus Fleethörn. Auf dem Flyer ist ein kleiner Punk-Comic zu sehen,  bei dem sechs kleine gezeichnete Punk-Figuren wie bei einem Panoramabild nebeneinander stehen und typische Punk Gesten vollführen: Posen, Saufen, Rumprollen. Unter diesem Punk Comic stehen die drei Bandnamen in der folgenden Reihenfolge: Razzia Scapegoats Blut + Eisen Der Flyer sah sehr dilettantisch aus, so dass er, wenn überhaupt, nur „von Punks für Punks“ entworfen sein konnte. In einem Interview mit dem Punkzine Der Rammelnde Hase beteuerte der Sänger Reiher der Politpunk-Band Razzia später, dass das Konzert in Kiel unter denkbar schlechten Bedingungen stattfand mit schlechter Akustik, schlechter Bühne, schlechter Bühnenanlage und mieser Organisation: „"Es war das Schlechteste, was ich je gesehen habe.“ Die Band musste sogar den eigenen Amp aus dem Kofferraum holen. Reiher bezeichnete die Veranstalter gegenüber dem Rammelnden Hasen als „"besoffene Hohlköppe“. Die 40 D-Mark Gage für zwei Autos, die aus Münster anreisten, waren inakzeptabel. Die Band sollte sogar für verzehrtes Bier aufkommen, dass sie gar nicht getrunken hatte. Bei vielen Teenage Punks ging an diesem Abend die zerebrale Kontrolle verloren. Und nach wie vor bleibt eine Restunsicherheit wegen des Datums, das gar nicht in die Kieler Woche fiel und wegen der räumlichen Distanz zwischen der Harmstraße und dem Fleethörn. Denn dazwischen liegen bestimmt zwei Kilometer. Auf der anderen Seite spricht für das Konzert im Fleethörn, dass wir nach dem Konzert ja mit einer Gruppe Punks den Fischbrötchenstand erfolgreich angegriffen und ausraubten. Denn ich bin mir mittlerweile sicher, dass der Fischbrötchenstand sich auf dem Asmus-Bremer-Platz befunden haben muss mit dem Rücken zum KN-Gebäude und der großen, roten Dioden-Laufschrift auf einer schwarzen, elektronischen Werbebande kurz unterhalb des Dachgeschosses. Wahrscheinlich dachte ich deshalb, es Kieler Woche sei, weil auf dem Asmus-Bremer-Platz außerplanmäßig eine Fischbrötchenbude platziert war. Ich gehe davon aus, dass die Fischfrikadellen damals, anders als heute, noch mehr als 30 Prozent Fisch beinhalteten. Wenn nicht, war der Überfall auf die dicke Fischbrötchenverkäuferin umso berechtigter.





 


 














Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen