Neues Material aufgetaucht
(new material discovered)
Randale in der Waschhalle
Die Waschhalle in der Brunswiker schloss abends um 22 Uhr. Je später der Abend, desto weniger Waschkunden und desto mehr Punks waren anwesend. Ich habe keine Erinnerung mehr daran, wer die Waschhalle gegen 22 Uhr abschloss oder ob es sogar einen Schließmechanismus mit Zeituhr gab. Die Kieler Wach- und Schließgesellschaft fuhr pünktlich Patrouille. Je besoffener wir waren und je größer die Punkmeute, desto mehr wurde randaliert. Ich fand später mehrere Holz- und Plastikschilder aus der Waschhalle in meinem Zimmer, die ich aus der Waschhalle entwendet und apportiert haben muss. Die Schilder enthielten Handlungsanweisungen zum Bedienen der Maschinen oder Unterlassungsaufrufe und Verbote. Es entsprach dem Zeitgeist, solche Schilder einfach abzubauen und sich in die eigene Wohnung zu hängen. Sie waren schlussendlich beliebte Geburtstagsgeschenke und tolle Accessoires. Zurück zur Waschhalle.
Lehnte ein Punk mit dem Oberkörper an der Oberkante einer Waschmaschine bei geöffneter Trommeltür und mit den Händen vorne am Hosenlatz, wenn er dazu leichte Gleichgewichtsprobleme hatte, konntest du sicher sein, dass der Punk in die Wäschetrommel schiffte. Es wurde nicht nur in leere Wäschetrommeln gepullert. Sogar laufende Maschinen ließen sich öffnen. Und wenn ein Waschhallen-Gast seine Wäsche alleine ließ, um einen Spaziergang zu machen, konnte es in Ausnahmefällen passieren, dass ein sturzbetrunkener Punk in die mit Wäsche gefüllte Trommel pinkelte und diese per Knopfdruck wieder startete oder schlichtweg einfach offen ließ. Weiße Wäsche wirkte mitunter eigenartig gelb. Der Punk dachte, er könne sich auf diese Weise am Staat oder am Kapitalismus rächen, was natürlich ein krasser Irrtum war. Die Rechnung ging nicht auf. Als Höchstleistung galt, die runde Tür einer Waschmaschine abzutreten. Das schafften nur hartnäckige Punks, und es bestand die Gefahr, sich die Stiefel oder sogar den eigenen Fuß kaputtzutreten. Mit Turnschuhen wäre das nicht möglich gewesen. Beim Randalieren waren wir todernst und trotz des Alks hochkonzentriert, als sei das unser erlernter Broterwerb. Einige wirkten wie wildgewordene Stiere. In krassesten Momenten gab es Lachkrämpfe. Um das Ziel zu erreichen, ließen sich nicht befestigte Sitzbänke oder bereits losgetretene Bänke als Rammböcke verwenden, um Waschmaschinen zu zerstören. Es wurden immer wieder Pausen eingelegt, um sich dem Alkohol zu widmen. Das Verhalten war ferner abhängig von der Musik, die auf Barnes Kasi-Rekorder lief. Bei einigen Songs konntest du nicht anders als randalieren, da die Refrains Schlüsselwörter wie destroy, kick, attack, smash, war, kill, run oder burn enthielten. Die Schadensliste wurde ellenlang.
Kopfzerbrechen bereitete uns die massive Trockenschleuder. Der Deckel rastete erst ein, wenn eine Münze eingeworfen war. Da startete sofort die bollernde Rotation. Wenn der Deckel jedoch ohne Münzeinwurf runtergedrückt wurde, lief der Trockner zwar kurz an, der Deckel sprang jedoch automatisch mit einem Klacken wieder hoch. Wenn der Deckel jedoch gegen den Widerstand der Automatik von mehreren Punks permanent runtergedrückt wurde, knackte es unaufhörlich in kurzen Abständen mit einem metallischen Sound, und die massive Schleuder lief ohne Geld. Das war aber nicht gesund für die Mechanik. Einige rissen den Antriebsriemen raus oder zerschnitten Kabel. Irgendwann kokelte es als Folge der Zerstörung. Was soll’s?
Das Pinkeln in die Schleuder war bei den Punks verpönt, da die Öffnung der Schleuder nach oben ausgerichtet war und das Pinkeln in Bogenform einer Zielübung glich. Es war anstrengend. Jeder konnte dabei den Punkerpenis betrachten. Einige traten pinkelnden Punks in den Arsch um Sachen weiter zu Eskalation zu bringen. Maxi schaffte es, sich ganz normal im Stehen in die Trockenschleuder zu erleichtern. Er durfte dabei bloß nicht zu breitbeinig stehen. Gerne wurden Flaschen in den Trommeln entsorgt. Gefüllten, bereits gestarteten Maschinen wurden Flaschen als Waschbeigabe beigesteuert. Meistens gingen die Flaschen kaputt, was die Wäsche mit Scherben anreicherte. Trockner wurden entankert, Plexiglas zerschlagen und gesplisst, Steckdosen wurden von der Wand getreten. Die Aggressionen entluden sich teils explosionsartig. Zerstörungsrausch war angesagt, bis eine Art Befriedigung einsetzte. Doch die Geldschatullen in den Automaten waren vor uns sicher. Da war sogar ich überfordert. Dennoch fügten wir den Einwurfautomaten größtmöglichen Schaden zu mit Boots und scharfkantigen Gegenständen. Es gab auch Freaks, die ständig Werkzeug dabei hatten, um überall, wo sie sich aufhielten, Sachen zu sabotieren und zu manipulieren, ob im Bus, in der Spielhalle, im Waschcenter oder wo auch immer.
Von draußen sahst du als Passant manchmal die Rückseiten der Nietenjacken mit Bandnamen Schulter an Schulter auf der Sitzbank vor der Scheibe hocken, einige im Kamikaze-Style nach vorne gebeugt. An extremen Tagen war der Fliesenboden übersät mit weißem Waschpulver, dass sich an einigen Stellen von Pisse und Bier gelb färbte. Auch Scherben und zerknüllte Dosen lagen herum. Das Waschcenter roch irgendwann nicht mehr einladend, besonders, wenn auch Kotze dabei war. Mit fremder Wäsche werfen war jedoch ein Tabu. Aus dieser Zeit stammte die Redewendung:
„Ich schleuder’ mir gleich einen“.
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