Roland Scheller
PSEUDO 4
PSEUDO 4
Punk-Storys Teil 4
Roland
Scheller
kdp
Copyright
© 2024 Roland Scheller
All
rights reserved.
ISBN:
Die
Handlung und alle Personen in diesem Roman sind frei erfunden.
Jegliche
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind
rein zufällig und unbeabsichtigt.
Inhaltsverzeichnis
1.
Aftermath Mülldeponie
2.
Der kurze Cotzbrocken Trend
3.
Der Motorradhasser
4.
Ein Punk nimmt mir das Springmesser
ab
5.
Meine erste Pissgelbe Punkliste
6.
Stress beim Scheunenfest
7.
Das Sendungsbewusstsein der Punks
8.
Lambrusco mit Zucker
9.
Hecker kackt beim Bürgermeister in
den Garten
10.
Ein „Klassenkamerad“ erklärt, wie
ich Sprengstoff herstellen soll
11.
Zerfledderte Punk-zines
12.
Weshalb die NDK-Kids scheitern
mussten
13.
Meine neuen Docs
14.
Einmal Skinhead immer Skinhead?
15.
Die Kieler Skinhead-Kartei
16.
Der Alkoholschiss
17. Aug in Aug mit den Schergen
18.
Die Brücke unter der wir das
Diebesgut versteckten
19.
Der Haschtee
20.
Der Chicken-Squawk
21.
Meine Freundin attackiert mich
22.
Kettenschläge beim Meteors Konzert
23.
Sexueller Übergriff im Subway
24.
Meine Ex fackelt meinen Perso ab
25.
Der Punk Nille fährt mit dem Rad
gegen eine Straßenlaterne
26.
Nille leiht mir die L’Attentat-LP
27.
Das Judge Dread Konzert in der Alten
TU Mensa
28.
Blutspritzer an der Gitarre
29.
Brief an einen toten Punk
30.
Die Sicherheitsnadel
31.
Brief an einen Neo-Nazi
32.
ИМПУЛС БЕЙСБОЛ
33.
Dauergast Meierei
34.
Die Akte Conner
35.
Der Schiefe Turm von Pizza
36.
Der Heroindealer kommt mir zu nahe
37.
Mein erstes richtiges Exploited
T-Shirt
38.
Exploited Traum
39.
Ausgekugeltes Kniegelenk in der
Gruft-Disco
40.
¿Exploited fand in Kiel nicht statt?
41.
Fremdalkohol
42.
Mit Yoga gegen Flashbacks und Hallus
43.
Back in ‘81 - Der Spaten aus
Brokdorf
Aftermath Mülldeponie
ls die
Mülldeponie längst eingeebnet und mit einer frischen Erdschicht überdeckt
war, fassten die Stadtführer den Entschluss, an diesem Ort eine moderne
Reihenhaussiedlung zu errichten.
Die Kneipe
Zum Schusterkrug existierte da schon lang nicht mehr, allerdings gab es noch
die Kleingartensiedlung Schusterkrug und die Wohnhäuser an der Diekmissen
Straße, wo ein Dealer wohnte. Auch der kleine Tümpel kurz vor der Mülldeponie
existierte noch. Von den zerfetzten Plastiktüten und anderem federleichten Material,
das wie North Dakota Steppenhexen „Tumbleweed“ vom Müllplatz weggeweht wurde,
war nichts mehr zu sehen, als wären sie von der Verwitterung vollkommen
aufgelöst.
Das
Bauvorhaben wurde zunächst durch gewunken. Jedoch musste die Bevölkerung der Region
noch offiziell über das Bauprojekt informiert werden. Da erinnerte sich eine
ganze Reihe an Anwohnern, dass sich an der Stelle vor nicht allzu langer Zeit
der besagte Müllplatz befand, dessen Bestandteile sich immer noch nur wenige
Meter unter der Erdoberfläche befanden. Also hagelte es Beschwerden, nicht
nur, weil die Deckschicht absacken könnte, sondern auch, weil das Grundwasser
langfristig verseucht werden könnte. Also wurde das Bauprojekt auf Eis gelegt.
Es wussten einfach zu viele aus der Region, dass dort giftige Abfälle lagen,
illegal entsorgte Krankenhausabfälle, Militärabfälle, Haushaltsmüll,
Sondermüll wie Farbreste und Chemierückstände.
Ganz
durchgeknallte Gestalten hinterfragten sogar die Funktion der ehemaligen
Mülldeponie an sich. Sie vermuteten, dass die Mülldeponie ein der
Nachkriegszeit nur deshalb an der Stelle errichtet wurde, weil sich dort ein
Massengrab befand, das auf diese Weise vertuscht werden sollte. Inzwischen wird
sogar behauptet, dass in dem Stadtteil nie ein Rüstungsbetrieb stand und nie
Panzer gefertigt wurden, obwohl unzählige Menschen beobachten konnten, wie die
produzierten Panzer tagsüber auf den Bahnschienen und nachts mit
Schwertransporte auf der Straße abtransportiert wurden.
Der kurze COTZBROCKEN
Trend
Kotzbrocken mit C tut Spießern weh
ei uns im
Stadtteil hatte ein einziger !!! die Cotzbrocken LP. Davon haben sich bestimmt
30 Kids eine Kopie auf Tape gezogen. Das ging ruck zuck. Die
Cotzbrocken-Scheibe wechselte von Mann zu Mann, alle vielleicht 15 bis 17 Jahre
alt. Die meisten wohnten im Hochhaus-Silo Stromeyerallee. Fast alle Kids kannte
von unserer gemeinsamen Zeit auf der Müllkippe – bis auf die ehemaligen
Heimkinder. Die kamen später dazu. Jeder, der auf dem Hof des Wohnkomplexes
auftauchte und einen Draht zum Cotzbrocken-Besitzer hatte, durfte die Platte
für einen Nachmittag oder über Nacht mitnehmen. Wäre gar nicht möglich
gewesen, die abzuzocken. Das hätten die anderen Kids nicht geduldet. Alle
gingen pfleglich mit der LP um, keine Kratzer, keine Fettfinger, keine Haare
oder Schuppen. Wir fanden Cotzbrocken alle asozial und primitiv . Trotzdem
haben wir sie gehört, zitiert und gesungen. Dazu wurde gesoffen ohne Ende.
Alle wollten so asozial sein wie Cotzbrocken. Die haben irgendein Ventil bei
uns geöffnet.
Die Band
Cotzbrocken war eine Reaktion auf das End-70er Altnazi Es tablishment – quasi
die Rache der jungen Alkoholiker. Sie zogen alle Register, denn sie wollten
keine Kotzbröckchen mehr sein, sondern richtige Kotzbrocken. Der Begriff
Kotzbrocken existierte in der Umgangssprache, um unsympathische Personen im
eigenen Umfeld zu klassifizieren. Dabei wird Kotzbrocken gleichgesetzt mit
Ekelpaket, Unsympath oder Stinkstiefel – im Prinzip ein gelungener Name für
eine Punk Band.
Uns war klar,
dass der LP Titel „Jedem das Seine“ nicht ganz sauber war. Auf der anderen
Seite solidarisierten sich Cotzbrocken auf subtile Weise mit den Opfern der
Nazis („Ich weiß jetzt wo ich hingehör“). Diese Band war einfach nur kaputt.
Cotzbrocken
rüttelten viele wach. Sie waren nicht rechtsextrem, jedoch sehr, sehr
subversiv, subversiver, als jede andere deutschsprachige Punkband. Viele
Textzeilen entlockten uns ein Lachen, so auch
„Hurra, hurra, der Papst ist tot, es lebe
Ali Ağca“.
Dieser
Refrain war s ehr krank, denn der Papstattentäter hieß zwar Ali Ağca und das
wusste jeder, doch der Papst war gar nicht tot. Das war ein ganz extremer Pun
ker-Humor, den Cotzbrocken uns antat.
Wir waren
schockiert, wie kaputt die Band, die Texte, die Musik und die Stimme des
Sängers waren. Teils begrüßten wir uns mit
„Wie sieht der denn aus?“
Ein weiterer
Refrain aus dem Obskuritätenkabinett der Cotzbrocken. So ging das ein paar
Wochen, bis der nächste Punk-Trend da war. Später haben sich alle
psychodrama-style gegenseitig verschmäht, weil sie Cotzbrocken gehört haben.
Der Vorwurf
lautete
„Du hast hier nichts zu melden, du hast
früher Cotzbrocken gehört.“
Der Motorradhasser
(Rockeraffärenliteratur)
in Jugendlicher,
der der lokalen Punkszene nahestand, entwickelte auf seinen nächtlichen
Zechtouren am Wochenende Apathie gegen Motorräder. Wenn er ein Motorrad auf
einem Bürgersteig stehen sah, schaute er um sich, ob er unbeobachtet sei, ging
zum Motorrad und riss od er trat es einfach um, sodass es laut schepperte.
Nicht dass er danach weglief, er ging einfach weiter, als sei nichts gewesen.
An diesem
Wochenende hatten sie schon etwas LSD geraucht, als sie mit einer Handvoll
Punks die Stadt unsicher machten. Sie gingen in eine Kneipe, um etwas Unruhe zu
stiften, gingen zum Billardtisch und störten andere Gäste, bis diese das
Billardspiel aufgaben. Jetzt spielten sie ohne Kontrolle und Regeln und
hämmerten die Kugeln in die Löcher. Irgendwer schaffte es, ein paar Flaschen
Bier zu organisieren. Sie woll ten die Band Dead Kennedys hören, und der DJ
spielte den Song “Holiday in Cambodia“, später auch “Too Drunk to Fuck“ und
"Kill the Poor ", obwohl die Musikrichtung Punk und Punkrock gar
nicht in diesen Sc huppen passten. Jetzt bekamen die jungen Männer
untereinander Streit, als es zu Handgreiflichkeiten kam, trennten sie sich
voneinander. Ein er von ihnen ging weiter in die Innenstadt. Er war stark
angetrunken.
und wie
elektrisch geladen. Als er schließlich an einem Motorrad vor beikam, hielt er
inne und näherte sich dem Objekt wie ein Raubtier dem Opfer. Er stand
breitbeinig vor dem Bike und taxierte die Maschine weiter an, bis in ihm das
Bedürfnis aufkam, die Maschine umzustürzen . Erst trat er mit seinen
Springerstiefeln gegen das Fahrzeug, schließlich griff er mit den Händen in
Richtung Sattel und Tank, übte Druck auf un d stürzte das Motorrad nach
hinten über. Mit einem Kratzen und scheppern krachte die Karre auf den
Asphalt. Das hörte sich so an, als würde e ine Waschmaschine von der
Ladefläche eines Transporters kippen. Er schrie laut
„Geil, geil, geil“.
Jetzt holte
er seinen Punkerpenis raus und uri nierte auf das schwere Zweirad. Es klang,
als würde er in einen Kochtopf pinkeln oder in ein Urinal aus Blech. Er hatte
Blut geleckt und ging sch nellen Schrittes weiter, als wolle er bereits die
nächste Straftat begehen. Ein Rocker rief noch aus dem Fenster
„Ich bring Dich um, Du Schwein.“
Doch er
traute sich nicht.
Es war gegen
ein Uhr nachts, und wenn überhaupt noch Leute auf den Straßen anzutreffen
waren, so waren es stolpernde Nachtschwärmer. Auf dem Weg, den er jetzt ging,
war niemand anzutreffen. Er ging die endlosen Parkreihen von Autos entlang, die
alle Heck an Bug fast halbseitig auf dem Bürgersteig parkten und nach
Straftaten schrien. Der Punk war stark betrunken, vielleicht stand er sogar
unter dem Einfluss von h alluzinogenen Drogen. Er war heiß wie eine Tarantula
und lief in Richt ung Discothekenkomplex Bergstraße. Vieles nahm er nur noch
scheme nhaft wahr, die Scheinwerfer entgegenkommender Autos blendeten, w irkten
wie ein starkes Stechen auf der Netzhaut. Seine Augen pulsierten. Da erblickte
er dicht an der Häuserwand ein geparktes Motorrad, ein „Reisfresser“, wie die
Rocker sagten. Eine schwarz-weiß karierte Schutz plane war über die Honda
Maschine gespannt, um sie gegen Regen und aufgewirbelten Dreck zu schützen.
Fast schon fachmännisch griff er er neut in Richtung Sattel und Tank und riss
die Maschine von der Wand , dass es ebenso schepperte wie zuvor und auf den
Bürgersteig krachte. Doch der Schrotthaufen blockierte jetzt den gesamten
Bürgersteig. Der Punk ging weiter und drehte sich aus rund zehn Metern
Entfernung ein weiteres Mal um, damit er seinen Akt der Delinquenz noch einmal
begutachten konnte. Dieser Anblick setzte in ihm ein Gefühl der Befriedigung
frei, als hätte er sich an einer ganzen Innung erfolgreich gerächt.
Ein Punk nimmt mir
das Springmesser ab
Der ganz normale Wahnsinn
ch fand eines
Tages ein Springmesser im Schrank meines Vaters. Es lag in einer Holzschatulle,
in der ursprünglich Schachfiguren aufbewah rt wurden. Darin befanden sich
Zeichenschablonen, ein paar Dias aus der Bundeswehrzeit meines Vaters, ein
Rechenschieber und ebendieses Springmesser mit einem schwarzen Griff. Es war
sehr handlich, mit ein em kleinen Knopf auf dem Griff, auf den du drücken
musstest, damit die Klinge raussprang. Die saß felsenfest und konnte erst
wieder gelöst und eingeklappt werden, wenn auf den kleinen Metallknopf
gedrückt wurde. Ich war Punk und hing mit allerlei düsteren Gestalten ab.
Eines Abends, es war Freitag oder Samstag, nahm ich das Springmesser mit in die
Stadt und mit in die Bergstraße. Ich weiß nicht, was mich da geritten hatte.
Schon im Bus in der letzten Reihe holte ich es raus und reinigte mir damit die
Fingernägel, so wie ich es zuvor in einem 50er-Jahre Spielfilm gesehen hatte.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das Messer n icht an den Rückenlehnen
und Sitzpolstern ausprobiert habe, um damit hineinzustechen, die Sitze
aufzuschlitzen, zu ratschen und zu ritzen.
Ich poste
noch mehrmals an diesem Abend mit dem Messer. Wir hingen mit ein paar Punks ab.
Einer der Punks wollte das Messer mal kurz haben, um es zu begutachten. Ich
reichte es ihm. Der Punk ließ die Klinge springen, fuchtelte kurz damit rum.
Danach klappte er die Klinge wieder ein und steckte das Messer wie
selbstverständlich in die Tasche. Ich hielt das für einen Witz und wollte das
Messer wieder zurück. Er ließ mich betteln. Leider war ich zu besoffen, auf
das Messer zu bes tehen. Es war weg, und ich weiß nicht mehr, wer es sich
einverleibt hat. Es war jemand in meinem Alter. Ich wurde abgezockt. Der Alk
war dafür verantwortlich, dass ich schon am nächsten Tag nicht mehr wusste,
wer das Messer hatte.
Meine erste Pissgelbe
Punkliste
EX ANARCHIA
PECUNIA
ines Tages
fand ich in einem gekauften (?) Sounds Magazin eine Annonce über einen
Plattenversand namens Vinyl Boogie. Die Anzeige war etwas länger als die
Grundfläche einer Streichholzschachtel. Oben in der Annonce prangte der Adler
Pogar (siehe Abb.), von Vinyl Boogie mit Stoppelfrisur, Nietenhalsband, T-Shirt
mit der Aufschrift "Brat mich Sheriff", auf den Ärmchen "EX
ANARCHIA PECUNIA", dazu auf den Flügeln VINYL (links) BOOGIE (rechts).
Der Adler krallt sich an einer nach unten geöffneten Sicherheitsnadel fest.
Unter dem Adler war die Ad resse von Vinyl abgebildet, darunter eine Auswahl
der neuesten erhältlichen 7", angeführt von GBH, 4-Skins und
Anti-Nowhere League. Über diese Zeitschriftenwerbung kamen an unsere erste
Pissgelbe.
Ich weiß
nicht mehr, ob wir gleich aus der Liste bestellten und um die Zusendung von 3
oder 4 Listen baten, oder ob es uns zunächst nur um die Listen ging. Jedenfalls
hatten wir schon bald unsere ersten Pissgelben in der Hand. In jeder Pissgelben
war die Adresse von Vinyl abgedruckt, meistens eingeleitet von einem
werbeträchtigen Slogan und einer Aufforderung, aus der Pissgelben Punkliste
aus Berlin zu bestellen.
Weil SID bei Vinyl
kauft! VINYL
1000 Berlin 30
Gleditschstr. 45
Tel.: (030) 216 88 30
Ich überflog
die Listen mit Neuerscheinungen und wiederbestellbaren Pogo-Scheiben und war
sofort angepikst. Isch hatte ja noch zwo Wochen Zeit, die Pissgelbe Liste zu
studieren und Kauf- und Bestellentsche idungen zu treffen. Es juckte immer
mehr. Kaufwille, Bestellung und tatsächlich gelieferte Pogo-Scheiben waren
zwei paar Schuh. Der Begriff „Fehlkauf“ existierte in unseren Köpfen noch
nicht, erst als wir später anfingen, bei Malibu zu ordern.
Bei Vinyl
Boogie taten die verkürzten, parolenhaften LP- und EP-Titel sowie bestechende
Bandnamen ihr Übriges. Sie konnten eine Message enthalten, waren jedoch noch
kein Garant für Qualitätspunk. Finnische LP- und Song-Titel sowie Bandnamen
waren die Terra Incognita. Bei Brasil- und Hispano-Material war manchmal eine
Ableitung der Message möglich. Das Layout der Pissliste war verrutscht und
verkeilt-schräg, dilettantisch und fernab jeglicher Computerlayout-Denke und
IT-Design.
Durch die
Pissgelbe lernten wir Unmengen an neuen Begriffen kenn en, Katzenbilly, Locken,
Goten und vor allem Punk-Style Typografie, Foto- und Buchstabenkollagen,
Anti-Werbung, die uns flashte.
Die Gelbe
Pissliste war ein Stimmungsbild und zugleich ein Fingerab druck der derzeitigen
Punkszene.
In rüden
Tönen hieß es:
„Apropos Business: Wer
uns am Telefon fragt, ob wir die Business haben, de m schicken wir n Stromstoß
durchs Kabel , dass er nicht mehr Oi sagen kann.“
Das gefiel
uns.
Die
„Pissgelbe“ erzeugte Feelings. Unverzichtbar für Punks, Skins und bald auch
für Katzen(-billys). Durch diese und andere Formulierung en wurde die
Pissliste zur Religion.
Es gab immer
wieder Hinweise, wie es mit der Pissgelben weitergeh en wird:
„Alle 77er
Softcorepunk, Postpunk, Bombastpunk, Herbert, Punkabil ly, Kult,
Voodoopunkplatten sind jetzt abgewandert in die bIlDsChIrm gRaUE KULTliste.“
Wirkung
zeigte das direkte Ansprechen und Angreifen der Kunden:
Exklusiv für alle
Asseln und Makrelen
DIE NR 41 DER P I S S
G E L B E N (JULI/AUGUST)
Auch der
Wirbel um das Pogophon schien nie enden zu wollen.
DU NIX POGOPHON
Am 8.7. hat unser Anrufbeant-
worter die Telefonleitung ge-
killt. Bis er repariert ist,
gibts kein Pogophon, leider.
Frappierend
war das Sendungsbewusstsein von Vinyl Boogie, das im Laufe der Zeit immer
stärker zu fehlgeleitetem Kommerzdenken dege nerierte. Grundsätzlich war es
positiv, dass die Crew von Vinyl Geld verdienen wollte.
Es war
zunächst alles sehr fein mit den angekündigten Neuerscheinu ngen, dem „Blick
in die Zukunft“, den Zusatz der Kultliste, die Aufnah me der
Psychobilly-Sparte, T-Shirt, Videos, Fanzine-Tausch gegen LPs , einsenden von
Demo-Tapes etcetera. Doch das endete irgendwann d amit, dass der
Konkurrenzkampf mit anderen Plattenversanden offen in der Bestellliste
ausgetragen wurde, das Publikmachen des Polizeistresses, sowie das Gängeln der
Kunden mit dem unausgesprochenen Pseudo-Vorwurf, sofern sie nicht sofort
zugreifen (Wer jetzt nicht
bestellt, ...).
Vinyl Boogie schoss sich selbst ab, spätestens als Nazi-Bands unter der Rubrik
„Nazi-Kitsch“ angeboten wurden. Das war das Ende einer Institution. Im Prinzip
eine typische Punk-Unternehmer Karriere. Beim Plattenlabel Rock-o-Rama war es
ähnlich.
Es war jedoch
nicht nur der „Flirt mit den Nazis“, der Kleinunterneh mer wie Vinyl Boogie,
Rock-o-Rama zur Strecke brachte, sondern auch leichtsinniger Gesetzesbruch in
unserer subkulturfeindlichen Paragrafenwelt. Erwähnt sei hier der Prototyp
eines Plattenhändlers, der durch halb Europa reiste, um gebrauchte Pogo-Platten
für seinen Laden au fzukaufen. Alles schön und fein. Er bot leider „illegale
Bootlegs“ an, was ihm eine tödliche Geldstrafe bescherte.
Zum Schluss
ein letztes Zitat zum Thema Pogophon:
Also AmiFreaks,
Pogophon hören oder auf nächste Liste warten.
Stress beim Scheunenfest
cheunenfeste waren No Go Areas für Punks. Wir waren nur selten auf diesen
Trinkveranstaltungen, denn dort gab es immer Stress mit dem Bauernmob. Wir
hatten erst letztens in f*cking Dorf G. und Dorf S. übel auf den Kopp
gekriegt, nachdem wir mit der Autokraft dorthin fuhren und uns mit der
Dorfjugend anlegten. Diesmal war in Dorf P. eine solche Bauernparty. Es war
mein insgesamt drittes Scheunenfest und auch mein letztes. Da ich immer schon
ein Faible für Dorf P. und dess en Dorfjugend hatte, meine Großeltern aus Dorf
P. kamen und ich dort obendrein den Kieler Express austrug, wagte ich mich
einfach mal zu m diesjährigen Scheunenfest, zumal Wisent und Fielmann in Dorf
P. wohnten und mich mitschleppten. Fielmann sagte noch
„Du darfst Dich bloß nicht mit der
Dorfjugend anlegen, wenn alle besoffen sind.“
Ich kannte
ohnehin die meisten Bauern dort in meinem Alter, auch w enn die eher
Rockerstyle waren, Mofas, Krads und Motorräder und an deren Bullshit fuhren.
In Dorf P. gab es rund 120 Haushalte. Das wusste ich vom Austragen des Kieler
Express.
Das halbe
Dorf saß jetzt scheinbar diszipliniert in Reih und Glied an Biertischen auf
Bierbänken. Es roch nach Scheune und es roch nach Dung. Ein musikalisch
verhärmter DJ legte ätzende Rock- und Disco-Musik auf, sodass es mich
grauste. Punkmusik hatte hier null Chance, und ich traute mich nicht danach zu
fragen. Das hätte unkalkulierbare Effekte zur Folge haben können. Es wurde
kräftig geschmettert, vor allem Bier und Korn. In meiner Altersklasse war das
mit dem Struggle gegen den Rocker- und Bauernstaat noch nicht so krass, weil
viele sich von der Schule, aus dem Sportverein oder dem Jugendtreff kannten.
Trotzdem war ich den älteren Rockern ein Dorn im Auge. Ich soff und soff und
soff und die ersten f*cking Rocker beäugten mich mit Argwohn. Jetzt kam ich
mit einer Dorfschönheit ins Gespräch. Wir standen bald draußen vor der
Scheune und sie sagte, dass sie Interesse an mir habe. Jedoch müsse sie
aufpassen, dass ihr Freund sie nicht mit mir sieht. Plötzlich wollte sie mit
mir auf den Feldweg.
Sie hatte
einen großen Busen und trug einen Spezial-BH. Die Frau w irkte wie ein
Lockvogel, als hätte sie jemand zu mir geschickt. Anders kann ich es mir nicht
erklären, dass sie plötzlich auf einen Typen wie mich abfuhr.
Wir gingen an Fielmanns Wohnhaus vorbei
50 Meter den Feldweg entlang. Hier knutschten wir hemmungslos, fingen an, uns
zu streicheln. Wir gingen gar nicht erst hinter den Knick, knutschten und
knutschten und wurden intimer. Es war ziemlich dunkel an diesem Abend.
Plötzlich schrie jemand aus Richtung Dorf P.
„Du Schwein!“
lief auf uns
zu und trennte uns. Es war ihr Freund, der sich wie ein kleiner Dorfsheriff
aufführte. Er schubste mich mit beiden Armen. Danach entfernte er sich mit
seiner Freundin zurück in Richtung Scheune. Ich sah ihnen kurz hinterher,
pisste in den Knick und ging ebenfalls zurück. Ihr Freund war der Bruder einer
Schulfreundin meiner Schwester. Wisent und Fielmann waren längst los. Ich
setzte mich an einen Biertis ch und becherte fleißig weiter Bier und Korn und
Bier und Korn. Plötzlich schaute der Freund der Dorfschönheit mich grimmig
an, kam wuten tbrannt auf mich zu und wollte klären, was zwischen mir und
seiner Braut lief. Er packte mich in Wildwestmanier, doch ein weiterer Dörfler
kam wie ein Alt-Rocker mit seiner f*cking Bierwampe dazwischen. Vom
Gesichtsausdruck wirkte der Retter wie der Dorfälteste. Der war vor kurzem
noch auf meiner Schule und wurde querversetzt, weil er lispelte.
Da schrie der
Lover der Dorfschönheit
„Ich bring das Schwein um. Er hat
versucht, mir meine Freundin auszuspannen.“
Doch der
Ex-Schulkollege schaffte es, ihn zu beschwichtigen. Darauf verdeutlichten sie
mir, es wäre besser, das f*cking Scheunenfest zu verlassen, was ich
schlussendlich tat. Heutzutage ist die Scheune durchrenoviert und zu einem
Bio-Laden umfunktioniert. Die Dorfschönheit ist inzwischen mit einem
untersetzten muskulösen Bullen mit Kurzhaarfrisur liiert, der mich ebenso
grimmig anschaut, wie ihr Ex-Lover aus der Scheune.
Das Sendungsbewusstsein
der Punks
eder Punk
hatte ein Sendungsbewusstsein. Davon zeugten nicht nur die Bandnamen und
Slogans auf den Jacken, sondern auch Buttons, politische T-Shirts, Graffitis
und Tattoos. Somit mutierten die Kleidung und die Haut zur Werbefläche in
Sachen Punk. Zum Sendungsbewussts ein gehörten auch das Sprühen von Bandnamen
und Punkslogans wie „Schmutzige Zeiten“ an Wände und Mauern sowie das Kritzeln
mit Filz - und Lackstiften von Punk-Phrasen wie
„$usAnne war hier!“
an alle
möglichen glatten Flächen. Ein weiterer Bereich, in dem sich das
Sendungsbewusstsein der Punks zeigte, war das Verschenken und Verleihen von
eigens aufgenommenen Sampler-Tapes an Freunde, sowie das Verleihen von Platten
an Nicht-Punks. So manche Mitschüler wurden zum Punk bekehrt – gegen den
Willen der Eltern. Ebenso hatten Bands und Fanzine-Macher ein
Sendungsbewusstsein im Auftrag des Punk.
Die eine
schleppte Klassenkolleg*nnen mit zum Punktreffen in der Wik auf dem
Penny-Spielplatz, der nächste schleppte Nicht-Punks mit zum Konzert und wieder
ein anderer brachte Pseudos aus der Metallszene mit zu den Punks. Jugendtreffs
wurden mit Punk infiltriert, bis den Hardrockern und Hip-Hoppern der Kragen
platzte, Schulfeste wurde mit Punk und Ska manipuliert, Partys wurden mit Punk-
Samplern gesprengt, ja ganze Fußballvereine wurden mit Punk infiziert, bis alle
mitsangen. Vieles wurde in Gesprächen abgecheckt:
„Hörst Du Punk?“
„Nee, ist nichts für mich.“
Sogar
Geburtstagskinder wurden mit Punktapes beschenkt und eiskalt erwischt:
„Leg endlich mal Dein Geburtstagsgeschenk
auf!“
Lambrusco mit Zucker
Sommer, Sonne, Hitze, Zucker, Lambrusco und hochrote Köpfe
n dieser
Stelle soll ein Thema aufgegriffen werden, dass in den bis herigen
PSEUDO-Publikationen allenthalber angerissen wurde: Lambrusco mit Zucker.
Sommer,
Sonne, Hitze, Zucker, Lambrusco und hochrote Köpfe – das war unser Motto in
diesem Sommer. So konnten wir stundenlang am Strand dösen und unseren
Sonnenbrand nachträglich verarzten. Da war es angenehmer, am Strand die
Punk-T-Shirts und die Hosen anzubehalten und nur die Boots beiseite zu stellen.
Die Empörung der anderen Strandbesucher war indes groß. Sobald die Leute
sahen, dass bei uns die 2-Liter-Pulle Lambrusco rumgereicht wurde, galten wir
als asozial.
Lambrusco mit
Zucker war eins der großen Trendgetränke unserer Teenage Punk Zeit. Auch wenn
ich in meinem Leben nur vielleicht zehn Zweiliterflaschen Lambrusco trank, es reichte,
dass ich einfürallemal die Lust daran verlor. Es gab jedes Mal eine Sauerei
und die Gesundheit wurde temporär in Mitleidenschaft gezogen, vielleicht sogar
langfristig.
Schon das
Anmischen der Lambrusco-Zucker-Lösung glich einer ziemlichen Sauerei. Wir
tranken meistens erst einen kleinen Schluck aus der Lambrusco-Flasche ab,
während wir aufgrund ihrer Größe und ihr es Gewichts die Pulle nur schwer
halten konnten. Das Kilo Zucker wur de geöffnet und aus der Verpackung eine
kleine Einfüllrinne zurechtg efalzt. Wie an einem Faden lief der Zucker in die
Flasche, bis sie wied er voll war. Das erforderte höchste Konzentration.
Daraufhin wurde die Verschlusskappe zugedreht und die Buttel mehrmals auf den
Kopf gedreht, sodass der Zucker nach unten rieselte und sich besser auflöste.
Die Flasche wurde erneut geöffnet und wieder nur wenige Schlucke abgetrunken,
bis weiterer Zucker nachgefüllt werden konnte. So ging es immer weiter. Wir
waren meist schon voll, bevor der gesamte Zucker eingefüllt war. Manchmal
warfen wir den restlichen Zucker einfach weg oder leerten ihn in den
Strandsand. Inzwischen klebte alles, unsere Finger, Mund, Kinn und Wangen,
Unterarme, die Flasche, Kleidung, Boden, die Boots, einfach alles.
Der Lambrusco
war inzwischen dermaßen mit Zucker versetzt, dass der Strandsand sofort
verklumpte, wenn etwas Lambrusco in den Sand kleckerte. Und das soll schon was
heißen.
Auf dem Grund
der Flasche befand sich immer noch eine fast 10 cm Schicht halbaufgelöster
Zucker. Bei der Hitze war das eine Mischung a us Feuerzangbowle und
übersüßter Fruchtbohle.
Spätestens
zum Ende hin kamen die ersten Beschwerden
„Das kannst du ja langsam nicht mehr
trinken.“
„Äh, ist das süß!“
„Alles klebt!“
„Kipp den Rest weg! Das gibt nur Karies.“
Seltsamerweise
kamen wir fast ausschließlich im Hochsommer bei knallender Sonne auf die Idee,
Lambrusco mit Zucker zu trinken. Die Entscheidung für Lambrusco fiel teilweise
erst auf dem Weg zum Super markt oder sogar erst in der Getränkeabteilung.
„Oh, geil. Lambrusco!“
„Sind das 1,5 oder 2 Liter?“
„Das sind 2 Liter.“
„Geil. Eine nehmen wir mit.“
Der Preis der
2-Liter-Flaschen war rekordverdächtig. Problematisch war, dass die Flasche
schwer zu halten war und deshalb eher als Bierflaschen Gefahr lief, zersmasht
zu werden.
Gerade in der
knallenden Sonne fing der Kopf schnell an zu glühen . Wenn der Lambrusco warm
war, löste sich der Zucker besser auf und Koma-Effekte wurden multipliziert –
für Jugendliche mit wenig Geld die ideale Mischung.
Hecker kackt beim Bürgermeister
in den Garten
ir waren auf
dem Rückweg von einem Punk- oder Punkabilly-Konzert im Plunschli in einem Dorf
süd-östlich von Flensburg. Das Dorf n annte sich Husburies nahe der Ortschaft
Husby. Wir hatten noch Bier auf Tasche und irrten zu Fuß durch einen Vorort von
Flensburg, irrten und irrten. Wir waren lattenstramm und ziemlich derbe, kaputt
und jokular. Immer wieder musste jemand pinkeln. Dafür boten sich Hecken,
Bäume und Bushaltestellen an. Doch jetzt musste Hecker auch noch kacken. Ringo
wusste, dass in dem Haus weiter vorne der Bürgermeister von Flensburg wohnt.
„Da wohnt der Bürgermeister!“
Das
behauptete er zumindest. Als Hecker sagte, dass er kacken muss , rief Ringo
„Dann kack doch beim Bürgermeister in
den Garten!“
„Ja, kack dem mal in Garten!“
Hecker sagte
nichts, freute sich, fühlte sich motiviert und entschied sich, tatsächlich in
des Bürgermeisters Garten zu kacken. Er hätte ja auch woanders hinkacken
können. Trotzdem stieg er über den Gartenzaun und stand auf dem Rasen im
Vorgarten. Die Rollos des Hauses waren heruntergelassen. Hecker öffnete den
Nietengürtel und ließ seine Hose runter. Jetzt hockte er da in seinem “Loud,
Proud and Punk T-Shirt“ und machte einen Dutt. Wir rissen unsere Witze.
„Pass auf, der Bürgermeister guckt schon
aus dem Fenster!“
Hecker hatte
nur noch zwei Taschentücher und schrie
„Hat jemand Paper für mich?“
„Da reichte ihm jemand eine halbvolle
Packung Taschentücher. Hecker sagte Danke, denn er war trotz seiner
Punk-Attitüden gut erzogen.
„Das steht bestimmt morgen in der
Zeitung, dass jemand beim Bürgermeister von Flensburg in den Garten gekackt
hat.“
Hecker zog
sich die Hose hoch, richtete seinen Nietengürtel aus und
kam zu uns
Pöbelfritzen. Später hieß es
„Hecker, weißt Du noch, als Du beim
Flensburger Bürgermeister in den Garten gekackt hast?“
Da sagte
Hecker
„Na logen!“
Ein „Klassenkammerad“
erklärt, wie ich Sprengstoff herstellen soll
ch stand ja
schon länger in der Schusslinie meiner Klassenkollegen, sowohl aus dem linken
als auch aus dem rechten Spektrum. Jetzt sprach mich ein „Klassenkamerad“ an
und wollte mir ganz unmotiviert erklären, wie ich in Eigenproduktion
Sprengstoff herstellen könne. Ich weiß nicht, weshalb er sich dazu berufen
fühlte. Der Schüler wohnte in eine m Einfamilienhaus in Dorf D. in der
Straße, in der sich der Sportverein befand. Er wirkte schon als Schüler wie
ein kleiner Staatssekretär oder Geheimrat. Mir ist schleierhaft, weshalb er
mir diese Einleitung ins Bombenbasteln verpassen wollte und wie er selbst an
dies Wissen heran kam. Er nannte Bestandteile, Mengen- und Mischverhältnisse,
und wo ich die Stoffe komplikationslos erwerben könne.
„Das bekommst Du in jedem gut sortierten
Baumarkt!“
Das ging bei
mir hier rein und da wieder raus.
Dieser
Mitschüler hieß mit Nachnamen wie der amtierende Bundeskanzler und wie der
Lateinlehrer aus Strande, der für die SPD kandidierte, der uns während des
Unterrichts verriet, was der Satz „Hier f*ckte Situs mit seinem Freund“ auf
Lateinisch heißt. Lehrer, Kanzler und „Schulkamerad“ waren weder verwandt noch
verschwägert. Der Name war bloß so häufig.
Der
Mitschüler hielt mir einen wahren Vortrag mit Bastell- und Bedienungsanleitung
„Du kannst diese und du kannst jene
Chemikalien dafür verwenden.“
„Ach wat?“
„Das ist kinderleicht.“
Ich nahm das
eher apathisch auf und empfand das Gespräch in der Pause vor der nächsten
Unterrichtsstunde als Erholung, da er erzählte und erzählte und ich nicht
gefordert war. Er bezog sich immer wieder auf Düngemittel und
Unkrautvertilger, aus denen sich der beste Spreng stoff herstellen ließe. Was
er erzählte, hatte Hand und Fuß, so brachte er es zumindest rüber. Es wirkte
konspirativ-informell, als ginge es darum, mich kurz und bündig über
Herstellung und Einsatz von Do-it-yourself-Sprengstoff zu informieren. Wie ein
Dozent verglich er die Sprengkraft seines D.I.Y. Sprengstoffs mit anderen
Explosivstoffen wie Plastiksprengstoff und Nitroglytzerin.
„Das hat eine Wirkung wie Nitroglytzerin.
Da fliegen die Fetzen. Das geht richtig gut ab.“
Am Ende des
Monologs versuchte er mich mehrmals zum Handeln z u motivieren.
„Versuch das mal!“
und
„Mach das mal. Du kannst das. “
ZERFLEDDERTE
PUNK-ZINES
Schönes
Fanzine-Chaos
n U.K. sagen
sie Punkzine. Hier in Tyskland sagen sie Fanzine. Das gab mir zu denken. Da
viele Fanzines aus einzelnen, zusammengehefteten DinA4-Seiten bestanden,
zerfledderten die Heftchen nach kurzer Zeit, sofern sie eifrig gelesen und von
Punk zu Punk weitergereicht wurden, und sie zerfielen in ihre Einzelteile.
Teilweise waren die Zines zerrissen, Teile waren rausgerissen oder
rausgeschnitten. Seiten waren nur noch halb vorhanden. Neben der
Papierzerfetzung kam es zur Materialzersetzung. Sogar die Tonerfarbe konnte
verwischen, wenn überhaupt sauber kopiert wurde.
Bald lagen
unzählige einzelne Fanzine-Seiten in meinem Zimmer he rum, bei denen es schier
unmöglich war, diese wieder zusammen zu sortieren. Das war komplizierter als
ein Puzzle, denn irgendwann wusstest du nicht mehr, welche Seite zu welchem
Fanzine gehörte, wenn die Seiten überhaupt durchnummeriert waren.
Es wäre ein
Mammut-Job gewesen, alles Seite für Seite wieder zusammenzupuzzeln. Also
packte ich alle losen Fanzine-Seiten auf einen Stapel, der wirkte, wie die
Loseblattsammlung eines Studenten on drugs. Der Stapel lag zuletzt im Regal
rechts neben dem Fenster mit Südausrichtung.
Nur selten
gingen Berichte über eine ganze Seite, ebenso die Fotostorys. Es waren
meistens nur Kurztexte und Ein-Bild-Witze, Fotos mit aufgesetzten Sprechblasen
und andere Fotomontagen, Sowjet-Kunst, zweckentfremdete Zeitungsfotos und
Schlagzeilen, die alles pervertierten – zur Freude der Leser und zum Nachteil
der Geschädigten, Heino etcetera.
Am Stil der
selbstgezeichneten Comic-Figuren konntest du erahnen , welches Blatt zu welchem
Punkzine gehörte. Layoutvergleiche halfen nur bedingt weiter, ebenso wenig
Vergleiche von Collagentechniken, Scherenschnitt, schnippel schnippel, schnipp-schnapp,
rumgeschnipsel, handschriftliche Textabschnitte, dafür hatte jeder
Fanzine-Schreiber einfach zu viel Spielraum. Selbst Kriminalisten hätten da
Schwierigkeite n gehabt, bei diesen Fledderhaufen durchzusteigen, die
Urheberschaft zuzuordnen und den Schreiberling zu identifizieren. Dabei hatten
die Kriminalisten längst ein Polizeiauge auf die Fanzineszene geworfen, d enn
es galt ähnlich wie bei der Punkplattenzensur bestrafbares Verhalten
aufzuspüren. Auch bei Fanzines galt, dass Volksverhetzung, Volxver hexung,
Vollverpetzung und Prollvernetzung sowie Aufrufe zur Gewal t bedingungslos
unterbunden werden sollten bis hin zum Einstampfen des Printmediums und zur
Strafanzeige.
Ein kieler
Fanzine-Macher bekam das bald zu spüren. Nachdem er in der neuen Ausgabe
seines Fanzines eine Anleitung zum Bombenbast eln abdruckte, ist das Haus, in
dem der Punk bei seinen Eltern wohnte, prompt von einer Spezialeinheit der Cops
gestürmt und durchsucht w orden. Das war das Ende seines Punkzines. Doch der Punk
hatte noch ein zweites Standbein: die Plüschtierf*cker.
Einige
Fanzines erinnerten mich von der Machart an die Pissgelbe Punkliste von Vinyl
Boogie, die teils Collagenstyle, teils mit Trash-Effekt k opiert und stets
pissgelb war (Ausnahmen bestätigen die Regel). Es wur de überall abgekupfert,
aus Comics, aus Zeitungen und Illustrierten, aus der Bravo, von Plattencovern,
aus dem Katalog des berliner Szeneladens Blue Moon, aus Werbeannoncen – nur um
Witze am laufenden Band zu generieren. Einzelne Elemente waren mehrfach
kopiert, Grauabstufungen gingen verloren, Trash-Effekte wurden erzeugt, diese
Elemente schließlich in die Liste kopiert, sodass manch einer rätselte, was
das Ele ment darstellen sollte. Diese Techniken waren in fast allen Fanzines
geg enwärtig. Fotos waren selten horizontal an den Seitendimensionen aus
gerichtet, sondern befanden sich stets in Schräglage. Das war Punk. Leo: „Das
ist Punk!“ Da machte es gar nichts, dass ein Fanzine zerfledert in alle seine
Einzelteile zerlegt in eine Loseblattsammlung umgewandelt war
Weshalb die NDK-Kids
scheitern mussten
er Sog der
Straßenclubs erfasste auch uns. Kieler Stadtteile und Regionen brauchten ihren
eigenen Club, ob von Türken dominiert oder von tätowierten Vokuhila-Kielern.
Der Chef der Smileys, die größtenteils aus der Umgebung der Stromeyerallee
kamen, hatte simple pissgelbe Smiley-Aufnäher besorgt, die er anderen Kids zu
überhöhten Preisen vertickte. Er hatte die Aufnäher irgendwo bei Kloppenburg
oder in einem Jeansladen günstig erstanden. Jetzt verkaufte er die Teile an
seine Leute, die sich die Stoff-Smileys auf den rechten Oberarm nähten, ohne
dass ein Dresscode vorgegeben war, ob Jeansjacke, Anorak oder Turnjacke. Im
Suff, wann denn sonst, kamen wir schlussendlich auf die Idee, ebenfalls eine
Art Straßenclub zu gründen, der NDK-Kids heißen sol lte. Die Sache war
spätestens spruchreif mit der Herstellung der NDK- Kids-Schablone, die wir
für Spraydosenaktionen und T-Shirts gleicher maßen verwendeten. Das war der
Rohling für alles, was hätte folgen so llen. Uns war bekannt, dass etablierte
Straßenclubs wie die Mad Boys, die Tigers und die Mad Fighters Oberarmpatches
nähen beziehungswei se besticken ließen, und dass sie bei Abnahme einer
größeren Stückzahl Preisnachlass erhielten. Doch die Preise schreckten uns
ab. Wir hätten dafür eine DinA6-große Vorlage erstellen und die Patches bei
einer Näherei oder Stickerei in Auftrag geben müssen. Als sich ein
Kostenvoranschlag in Verbindung mit Stückzahlen herumsprach, zogen wir es vor,
das Geld besser in Bierpaletten zu investieren. Es blieb also bei den T-Shirts,
und jedem Sympathisanten stand es frei, sich die Schablone au szuleihen, um
sich das Logo und den Schriftzug aufs T-Shirt zu sprühen. Davon machten nur wenige
Kids gebrauch, denn unser Logo war ein fach zu aselig. Grundvoraussetzung war,
dass die Kids aus Kiel-Nord ko mmen müssten, schwerpunktmäßig aus Pries, Dorf
Pries, Friedrichsort und Schilksee. Altenholz wäre auch möglich gewesen.
Bilanz: Ringo bekam wegen des NDK-Kids T-Shirts im Bus auf die Nase. Das war
ein harter Dämpfer. Mir traten Leute vorsätzlich auf die Boots, weil darauf
mit Lackstift NDK geschrieben stand. Das war ebenso hart. Als wir, die N
DK-Kids, Ringos 17. Geburtstag im Pornokino feierten, schlitterten wir in die
verheerende Straßenschlacht am Dreiecksplatz nahe der Halte-s telle
Jägersberg, die heute Dreiecksplatz heißt. Danach war auch Bingo mit Ringo mir
und den NDK-Kids, denn die Polizeiverhöre und die folgende Gerichtsverhandlung
veränderten unser Leben. Wir waren einf ach zu dumm und den Cops nicht
gewachsen. Deshalb waren die NDK -Kids nur ein Schiss. Wenn ich diese Zeilen
schreie, verstehe ich, wer i ch in den 80ern war und was für ein Typ ich heute
überhaupt bin und wer ich hätte sein können, vielleicht sogar der Vize der
NDK-Kids. Auch die Disco- und Kneipenszene war teils geprägt von Straßenclubs
und entsprechenden Gruppierungen zuzuordnen. Während die Disco Floh markt
eindeutig von den Tigers kontrolliert wurde, war das Böll Gebiet der Living
Deads, später, Ende der 80er, der Kneipenterroristen. Vieles nahm jedoch in
Jugendtreffs seinen Ursprung. Die Living Deads hinge n eine Zeit im Jugendtreff
Schilksee ab, die Wik-Punks im Jugendtreff Nord, der Krad-Club Clash lungerte
lange Zeit im Jugendtreff Buschblick rum. Die Mad Boys waren im Jugendtreff auf
dem „Gutti“ Gutenber gspielplatz, die Mad Fighters waren in der Palette im
Bergenring zu finden. Meine Leute waren zu der Zeit verstreut auf Läden wie
dem Pfefferminz, Error, DNA und Prisma. Doch was geschah auf dem Ostufer?
Meine neuen Docs
s klingelt.
Der Paketwagen ist da. Die Doc Martens aus Berlin werden geliefert. Ich reiße
das Paket auf und hole die Boots aus dem Schuhk arton. Sie übertreffen meine
Erwartungen. Alles riecht frisch. Ich entferne das Stopfpapier und fädel die
Schnürbänder zur Hälfte ein, weite sie, dass ich hineinschlüpfen kann.
Jetzt schnüre ich die 14-Loch-Docs bis nach oben zu. Das feste Leder schmerzt
wie Peitschenhiebe, sowohl auf dem Fußrücken als auch auf dem Schaft. Die
ersten Schritte wirken wie Wattwandern. Ich gehe weitere Schritte wie im
Anfänger Salsa-Kurs. Die Docs schmerzen zwar, aber sie passen. Endlich habe
ich eine Per spektive. Ich gehe in die Hocke. Das Leder spannt sich und
knartscht. Der Geruch des frischen Leders und der Gummisohle steigt mir in die
Nase. Jetzt verlasse ich die Wohnung, teste die Docs auf der Straße. Es wird
noch ein paar Tage dauern, bis sie eingelaufen sind. Ich bin überglücklich. Die
haben mich eine Stange Geld gekostet. Doch sie sind es wert, eine Investition
in die Zukunft. Die Stahlkappen schauen bullig nach vorn wie der Bugwulst eines
Schiffsrumpfs.
Mir wurden
jetzt verstärkt Fragen gestellt.
„Oah, geil, echte Docs. Wo hast Du die
denn her?“
„Aus Berlin, von Blue Moon.“
„Was hast Du dafür bezahlt?“
„Eine gute Stange Geld.“
Die Martens
machen nach wochenlang Knartschgeräusche und glänz
en wie eine
frische Schokoladenglasur. Mein Leben hat wieder einen Sinn. Meine
Freunde sind neidisch.
Einmal SKINHEAD immer SKINHEAD?
I don’t care
what the people say!
ie Szene
vergisst nie. Stimmt das? Der Hass war jedenfalls grenzenlos. Das bekamst du
sogar beim Fußball zu spüren. Am schlimmsten war es beim pissgelben
Kreisklassenverein am Westring. Es waren zumeist die Jahrgänge zwei bis vier
Jahre darüber, die immer wieder auf mein e Skinheadzeit zurückkamen, auch
während ich beim Fußballspiel auf dem Platz stand. Wenn ich etwas kritisierte,
hieß es häufig
„Was willst du, Skinhead?“
Obwohl ich
schon seit Jahren längere Haare hatte, wurde ich immer noch als Skin und
Skinhead gescholten.
„Als Skinhead hast Du hier gar nichts zu
melden!“
Besonders
Addo Killhorn stauchte mich bein jedem Aufeinandertreffen auf diese Weise
zusammen, obwohl er selbst den Kopf kahlrasiert trug. Das war schon absurd. Er
schäumte regelrecht, wenn er auf dem Sportplatz meine Stimme hörte, wenn ich
rief „Faul“, „Abseits“ oder „Elfmeter“. Am aggressivsten war Addo, wenn er sich
mit mir in der Nähe des besoffenen Anhangs des pissgelben Vereins kappelte.
Dabei lag me ine Skinheadzeit schon mehrere Jahre zurück. Mir war er gar nicht
aus meiner kurzen Skinheadzeit bekannt, nicht mal vom Bierautomaten. Vieles
lief wie stille Post. Als Skinhead spielte ich im Jugendbereich, und er war
bestimmt drei Jahre älter als ich, so alt wie Gonnrad und die Konz-Brüder.
Das konnte nur das Resultat einer krassen Rufmordkampag ne gewesen sein,
wahrscheinlich ausgelöst von Lorax, Swantje, Czeck und Fiebrig. Swantje, die
auf One Night Stands sowohl mit Stidi als auch Mig während derer härtesten
Skinheadzeit hatte, warf mir wiederum v or, dass ich mich mit Stidi und Mig
abgegeben hatte. Sie schaut mich s elbst heute noch an, als wäre ich ein
Schwerverbrecher.
Lorax
hingegen ließ die Skins zum Saufen immer wieder in die Ann enkneipe. Meistens
hatte er nicht mehr den Mumm, sie abzuweisen, wenn die Skins bei der WG
klingelten oder die Tür belagerten. Anderer seits warf Lorax mir bald vor, ich
hätte mich zu Lange mit Gonnrad und den Konz abgeben und mit ihnen gesoffen,
sei deshalb für die Szene aus Prisma, DNA und Subway und insbesondere die
Kneipenfußba llszene untragbar.
Den Vogel
schoss Fiebrig ab. Obwohl er mir immer wieder vorhielt , mit Gonnrad und den
Konz-Brüdern gesoffen zu haben, heiratete er Swantje. Er muss gewusst haben,
dass die mit den Konz-Brüdern gefröschelt hatte, auch im Flip auf Toilette.
Bei Frauen wurde also ein anderer Maßstab angelegt. Da hatte ich auch eine
Hippie Frisur tragen können, mein Ruf war unwiederbringlich verdorben. But I don’t
care what the people say!
Die Kieler SKINHEAD-Kartei
This is
Kiel, Not Hanover
ährend
vielerorts von der Hannoveraner Punker-Kartei die Rede war, gab es eine ganz
andere Kartei in Kiel, von der noch niemand etwas ahnte. Die
Hannoveraner-Punker-Kartei wurde sogar in den Medien, allem voran in der
Yellow-Press breitgeschlagen, bis sich auch der letzte Punk darüber aufregte
und schwor, bei den nächsten Chaostagen nach Hannover zu fahren. Doch was war
das für eine Kartei, die in der Land eshauptstadt Kiel angelegt wurde? Viele
ahnen es schon; es war die Kieler-Skinhead-Kartei. Während die Hannoveraner
Punker-Kartei öffent lich die Gemüter erregte und für Gesprächsstoff und
Zoff sorgte, wurde die Kieler Skinhead-Kartei verdeckt und behutsam
verarbeitet, sodass ihre Existenz zunächst gar nicht bekannt wurde. Doch als
es um die Straftat eines Skinheads ging, wurde gegenüber einem Rechtsanwalt
die Existenz der Kieler Skinhead-Kartei eingestanden. Als er auf Anfrage
Einblick in die Kartei erhielt, fotografierte er sich den Foto-Katalog einfach
ab. Doch damit nicht genug. Die entwickelten Fotos wurden vergrößert und
kopiert, und der Rechtsanwalt gab bald die ersten Kopien mi t Seiten aus diesem
Katalog aus den Händen. Später wurden diese vereinzelt in der Skinheadszene
herumgereicht wie eine Trophäe oder Urkunde. Doch teilweise sahen die
Skinheads nicht aus wie Skinheads, son dern hatten teils schulterlange Haare
wie Rocker. Wenn sie jedoch kurz geschorene Haare hatten, sahen sie nicht aus
wie Original-Skinheads, sondern trugen Oberlippenbärtchen oder Jacken, die
Skinheads kaum tragen würden. Doch es waren allesamt Fotos von
ED-Behandlungen, a lle in Schwarz-Weiß, alle mit zu viel Helligkeit, was jedoch
am mehrm aligen Kopieren gelegen haben kann.
Die
Skinhead-Scheiße lief eine ganze Weile in Kiel, sowohl rechts- als auch
linksorientiert und hatte einen Höhepunkt um 1984. In den späteren Jahren
kochte das Problem immer wieder hoch, war jedoch nach dem Sieg der Rockerszene
passé. Aber anders als in Hannover die Punker-Kartei, gingen die Cops nie mit
der Kieler Skinhead-Kartei hausieren. Auch die Lokalpresse schlachtete das
Thema nie aus.
(Inzwischen wurde
auch die Existenz der Kieler Dealerkartei seit spätestens 1987 bekannt.)
Der Alkoholschiss
Geschichten aus dem Punkhexenhaus
Das ist die Legende vom Alkoholschiss. Auch wenn diese
Legende vom Alkoholschiss im Punkhexenhaus noch spätere Generationen
beschäftigen wird, soll vermieden werden, dem Alkoholschiss mit dieser
Geschichte ein Denkmal zu setzen.
as
Punkhexenhaus hätte theoretisch überall stehen können, in den Schweizer
Alpen, im Australischen Outback, in den Rocky Mountains, doch es stand in
F*cking Dänischenhagen nördlich von Kiel. Es war mal eine Party in ebendiesem
Punkhexenhaus. Da kamen Punks von nah und fern, um sich einen zu brennen und
brandaktuellen Punk zu hören. Die Nacht wurde exzessiv. Es wurde gefeiert,
gequatscht und gebaut. Eine Großzahl der Gäste blieb über Nacht und schlief
in Betten, auf Couche lementen im Übungsraum, auf dem Teppich, auf
Gartenliegen oder in der Stube auf dem Sofa. Es wurde viel eingedreckt und am
Ende lagen Partytrümmer herum. Das war alles nicht dramatisch. Doch am folgen
den Morgen setze der Drummer einer Ska-Band einen unfassbaren Alkoholschiss in
die einzige Toilette des Hauses, dass er allen nachfolgen den Toilettengängern
den Tag vermieste. Der Alkoholschiss stank so bestialisch, dass selbst die
Punkszene empört war. Streit brach aus, da der Schuldige gefunden und zur
Rechenschaft gezogen werden musste. Vorerst war die Toilette blockiert. Die
Gastgeberin musste sich etwas vor Mund und Nase halten, um in der
kontaminierten Toilette zum Fenster vorzustoßen und das Fenster aufzureißen.
Das geschah mit Höchstgeschwindigkeit, als drohe Gefahr für Leib und Leben.
Sie atmete währenddessen gar nicht. Der Alkoholschiss roch chemisch und
hochkonzentriert nach Alkohol und Fäkalien, dass kein Mensch der Erde sich dem
beißenden Geruch unbeschadet hätte aussetzen können. Inzwischen hatte der
Gestank das halbe Haus erfasst, auch den Partykeller und den Übungsraum,
besonders das Wohnzimmer und die Küche. Der Gestank d es Alkoholschisses drang
durch alle Ritzen und Rillen und war deshalb
auf
unbestimmte Zeit omnipräsent. Es roch deutlich anders als ein herkömmlicher
Bierschiss, wirkte eher cremig-zart als flockig-feucht. Jetzt fingen alle in
einer Panikreaktion an, wirklich jedes Fenster im Haus au fzureißen, bis
Durchzug herrschte. Doch der Alkoholschiss roch widers penstig und schien in
die Wände und in die Tapete eingedrungen zu sei n. Als Antwort auf den
stinkenden Haufen nahm die Hausherrin des Punkhexenhauses in einer Panikreaktion
die frische Wäsche von der Wäs cheleine im Heizungskeller, da sie nicht
wollte, dass die Wäsche den Ge ruch des Alkoholschisses annehmen oder sich
verfärben könnte. Die meisten Partygäste gingen zur Mundatmung über, um die
Dämpfe des Schisses nicht weiter mit ihren Geruchsrezeptoren wahrnehmen zu
müss en. Ein kleines bisschen Kotzreiz wurde durch diesen Fruchtschiss
getriggert. Auf der Musikanlage lief weiterhin härtester Punkrock, der wie
eine aggressive musikalische Untermalung zum Alkoholschiss wirkte. Es war der
Soundtrack zum Alkschiss, die Filmmusik zum Gestank. Unter den Partygästen
herrschte Panik und Unbehagen wegen des strengen G eruches und der Frage, wie
ein Mensch nur so etwas produzieren kann. Inzwischen erhoben die anwesenden
Punks schwerste Vorwürfe gegen einander und beschuldigten sich gegenseitig,
den Alkoholschiss platziert zu haben. Es wurde mit dem Zeigefinger auf den
designierten Verurs acher des Schisses gezeigt. Alle waren sich einig, dass der
Schuldige bloßgestellt und bestraft werden musste. Inzwischen hatte der
Alkoholschiss nur wenig an Durchschlagskraft eingebüßt. Es war das pure
Grauen. Der Schäferhund der Gastgeberin, der sonst immer friedlich und still
war, wirkte durch den Gestank hochaggressiv und bissig. Doch was mac hte den
Hund aggressiv? War es wirklich der Gestank des Alkoholschis ses oder die vom
Schiss verursachte Panik im Punkhexenhaus? Bald herrschte pure Verzweiflung,
und der Verursacher war immer noch nic ht eindeutig identifiziert.
Vorerst
traute sich keiner mehr auf die Toilette. Die ersten pinkelten in den Garten
gegen die Hecke. Es waren Schreie des Entsetzens zu verne hmen, äh, wie kann
man nur so pervers riechen, das ist ja abartig. Was hat der denn gegessen. Das
war ja purer Alkohol. Das ist ja unmenschli ch. Ich dachte, ich ersticke. Der
riecht ja richtig krank.
Es war auch
kein Aberglaube, dass von Tapezieren und einem neuen Teppich die Rede war und
davon, die Sofaelemente durch neue zu ersetzen.
Einige
hielten sich immer noch den Pullover oder ein Halstuch vor Mund und Nase, um
den Alkoholschiss nicht frontal einatmen zu müssen. Die Punkmusik erzählte
von Tod, Verderben und Desaster. Das passte zur Dimension des Schisses. Die
ersten sammelten sich wie bei einer Evakuierungsaktion auf der Terrasse und
hielten sich immer noch sch ützend den Stoff vor die Atemeingänge, denn der
Alkoholschiss war üb erall. Es hatte immer noch kein Punk die Verantwortung
für das stinke nde Etwas auf sich geladen. Anhand der Spuren in der
Kloschüssel mu ss der Alkoholschiss hellbraun und feinkörnig gewesen sein. Es
dauerte über 10 Minuten, bis ein Unschuldiger die Verantwortung übernahm u nd
die Reste des Alkoholschisses mit eine Klobürste wegkratzte. Das geschah bei
offener Klotür, weit geöffnetem Fenster, mit vorgehaltenem Halstuch und
lauter Punkmusik im Hintergrund. Dazu schrie die Person mehrmals laut äh,
igitt und so ein Schwein. Dabei war immer noch n icht eindeutig geklärt, wer
für den Alkoholschiss verantwortlich war, denn der Drummer leugnete vehement
seine Verantwortlichkeit. Erst n ach einem Kreuzverhör musste der Drummer den
Alkoholschiss auf seine Schulter nehmen. Nachdem er es schlussendlich zugegeben
hatte , für den Alkoholschiss verantwortlich zu sein, wurde er als Perversling
, Schwein und abartig bezeichnet.
Der
Alkoholschiss, Englisch “alcohol shit“, roch zwar fruchtig-herb und
hochkonzentriert nach Alkohol, im Prinzip wie ein Fruchtlikör, Obstler oder
Danziger Goldwasser, doch es überwog die Nuance des Fäkalien geruchs
durchdrungen mit einer Schnapsnote. Doch dieser Fäkalienge ruch war
unerträglich, nicht so wie Pferdeäpfel oder Kuhfladen, sondern eher wie
Verwesung oder bei einem Chemieunglück mit Faulgasen. Der Alkoholschiss roch
scheußlicher als eine Leiche nach zwei Woche n in einem geschlossenen,
ungelüfteten Zimmer. Die Insaßen des Pun khexenhauses machten bewusst ein
Psychodrama daraus, verliehen dem Alkoholschiss mehr Bedeutung, als er
tatsächlich besaß, sprachen ih m übernatürliche Fähigkeiten zu, die er
nicht hatte, übertrieben desse n chemikalische Parameter und begaben sich in
eine Opferrolle, die schlimmer hätte nicht sein können.
Inzwischen
hatte der Alkoholschiss seine volle Kraft entfaltet, obwohl er längst
weggespült und seine Spuren beseitigt waren. Bei den Reaktion en der Insaßen
des Punkhexenhauses wäre ein Außenstehender von ei nem größeren Unglück
ausgegangen oder von einem lokalen Supergau . Die freiwillige Feuerwehr hätte
wohl das ganze Haus gesprengt. Der Alkoholschiss war für die einen ein
Heilsbringer, der Messias, ja sogar ein Zeichen Gottes, das uns sagte, dass es
so nicht mehr weitergehen durfte. Für die anderen war der Schiss das Böse an
sich, ein Grundübel, das es z u bekämpfen galt, der personifizierte Teufel,
der sein Gesicht in aller Schärfe in der Kloschüssel zeigte. Der
Alkoholschiss warf Fragen auf. Sollten Sie den Alkschiss verfluchen oder gar
anbeten? Sollten sie vor ihm niederknien und ihm huldigen? War der Schiss
diesen Aufriss wert? Hätten sie den Alkoholschiss einfach ignorieren sollen,
als hätte es ihn nie gegeben? Wie lange könnte der Alkoholschiss seine
Energie im Punkhexe nhaus entfachen und am Leben erhalten? Sie hatten den
Schiss bereits in ihre Herzen geschlossen und behielten sein Gedenken in ihrem
Kopf. Die ersten bekamen Kopfschmerzen ob des bestialischen Geruches. Ein Punk
nahm eine Kopfschmerztablette. Der Bruder der Hausherrin fing an, ein Deospray
zu versprühen. Andere rauchten Kette, da sie den Geruch des Alkoholschisses
mit Zigarettenrauch bekämpfen wollten. Es wurde preiswertes Parfüm wie
Weihwasser verkippt. Ein andere schl ug vor, ein Lagerfeuer nahe der
Terrassentür zu starten, damit der Rau ch ins Haus ziehen und den
Alkoholschiss übertünchen könnte. Stattde ssen wurde ein Spaziergang über
die Felder unternommen, wo der Ger uch von Dung und Güllepumpe als
vergleichsweise angenehm empfun den wurde, da der Landgeruch dem Alkoholschiss
nicht das Wasser reichen konnte. Das gemeinsame Frühstück wurde wegen des
Alkschisses auf unbestimmte Zeit verschoben und fand schlussendlich erst am
spä ten Nachmittag statt, als die Luft wirklich wieder rein war. Es blieb
während es Frühstücks nicht beim Naserümpfen. Manchmal bildete sich ei ner
der Punks ein, noch Reste des Alkoholschisses wittern zu können. Ein
Alkoholschiss per se ist ja nichts Außergewöhnliches und kommt nicht nur in
Punkerkreisen regelmäßig vor, wenn übermäßig Schnapps u nd anderer Alkohol
konsumiert wird. Doch dieser Alkoholschiss war in seiner chemischen
Zusammensetzung in seiner Konsistenz und Geruc hsintensität einzigartig.
Dieser Schiss war schlichtweg die Krönung. Wäre Gestank messbar, hatte er auf
einer Richterskale den Höchstwert errreicht oder sogar das Messgerät
zerstört. Experten sind sich einig, da ss solche Alkoholschisse im Vorfeld
vermieden, bekämpft und verhind ert werden sollten.
Noch viele
Jahre später erinnerten sich die betroffenen Punks aus dem Punkhexenhaus an
den Alkoholschiss des besagten Morgens und schü ttelten die Köpfe, wenn sie
sich den scharfen Geruch des Schisses noch einmal vor Augen führten. Sie waren
sich einig, dass es nichts Perve rseres geben könnte.
Der
Alkoholschiss war keine Begegnung mit Gott. Der Alkoholschiss ha tte auch keine
heilende Wirkung, ganz im Gegenteil.
AUG IN AUG MIT DEN
SCHERGEN
iel 1987 in
einem Stadtteil namens Friedrichsort. Ich hatte mein Abi immer noch nicht in
der Tasche. Wir standen am Bierautomaten vor Mollenhauer und zogen uns halbe
Wappenstolz. Punk war angeblich längst tot, doch dieser Abend sollte wieder
mal das genaue Gegenteil beweisen.
Mollenhauer,
ein Lebensmittelladen in der Einkaufsstraße, hatte integriert zur Straßenfront
einen großen Bierautomaten, in dem die Bierflaschen wie in einem Karussell
angeordnet waren. Immer wenn ein Halber gezogen wurde, drehte sich die Ebene
wie ein Karussell um eine Station weiter, sodass der nächste Halbe im
Ausgabefenster bereitlag. Da die Ausgabefenster aus Glas waren, wurden sie
häufig eingeschlagen. Im Volxmund hieß der Bierautomat Molli.
„Lass uns mal zu Molli gehen!“
Zwar waren in
diesem 10000-Seelen-Stadtteil am Wochenende spätestens ab 18 Uhr die
Bürgersteige hochgeklappt, jedoch befanden sich überall mehrgeschossige
Wohnhäuser. Im Bedarfsfall, also bei Scherben, blauen Augen und nächtlichem
Lärm, wurde bei den Schergen angeklingelt, die einen Anfahrtweg von vielleicht
300 Metern hatten.
Das
Phänomenale an dem Bierautomaten war, dass wir uns rechts da neben in einem
weiteren Automaten Lebensmittel wie Gurkengläser oder Bockwürste ziehen
konntest.
$abrina war
an diesem Abend dabei. Da saßen unsere Fäuste besonders locker. Schon nach
wenigen Bieren kamen die Schergen, die ihr Auto in Wildwestmanier parkten und
uns zur Rede stellten.
„Guten Abend. Es hat eine Beschwerde von
Anwohnern wegen Lärmbelästigung gegeben.“
Doch wir
waren schon zu voll und aufgeputscht, um entspannt zu r eagieren.
„Was wollt ihr?“
„Wir wollen, dass wieder Ruhe einkehrt.“
„Du hast hier gar nichts zu melden.“
„Es ist fast zwölf. Die Anwohner wollen
schlafen.“
„Heute ist Samstag.“
Das Gespräch
schaukelte sich langsam aber sicher weiter hoch. Einer
der Schergen
schien sich zu freuen, als legte er sich gern mit Rockern an und in diesem Fall
sogar mit Punkrockern in schweren Lederjacken.
„Fahrt aufs Revier zurück ihr scheiß
Schergen. Macht Feierabend.“
„Pass mal auf, dass wir Dich nicht mit
aufs Revier nehmen.“
„Du hast mir gar nichts zu sagen. Und
seit wann duzen wir uns!“
„Rollant, lass ihn. Du ziehst nur den
Kürzeren.“
rief Arndt,
der neben mir stand.
„Ich lass mich hier nicht
rumkommandieren.“
„Bitte verlassen sie jetzt das Areal.“
„Halt‘s Maul, ich hau Dir auf die
Fresse.“
Der Scherge
schien weiter zu lächeln.
Da zog ich
meine Lederjacke aus, gab sie $abrina und ebenso meinen Halben.
„Zieh Deine Jacke aus! Stell dich! Stell
Dich einem fairen Faustkampf von Mann zu Mann.“
„Komm weg da!“
Doch ich
setzte dem einen der Schergen weiter verbal übel zu.
Der Scherge
war recht hager und neu im Stadtteil. Er muss gewusst haben, dass es ein harter
Job hier in diesem Arbeiterstadtteil werden würde. Ihm muss klar gewesen sein,
dass ich an diesem Abend nur schaus pielerte. Es war nur eine Prüfung, die der
Scherge zu bestehen hatte. D och das war gefährlich für alle Beteiligten, ein
Spiel mit dem Feuer.
„Zieh die Jacke aus! Du feiges Schwein!
Ich hau Dir eine rein!“
„Komm jetzt weg da!“
„Ihr scheiß Schergen! Ich hau euch um!“
„Langsam reicht’s.“
„Nimm die Mütze ab, zieh die Jacke aus
und gib die Pistole deinem Kollegen.“
„Es reicht!“
schrie der
dritte Scherge.
„Du hast mir überhaupt nichts zu sagen.
Wo kommst Du überhaupt
her, Du
scheiß Scherge?“
„Ich komme aus Altenholz.“
„Was machst Du da? Spielst Du da Fußball
oder was.“
„Nein, ich spiele kein Fußball.“
„So, jetzt komm mit hier“
sagte $abrina
und zog mich am Arm weg von den Schergen. Wir gingen Richtung Kirche. Die
Schergen stiegen ins Auto und fuhren weg. Ich wusste gar nicht, dass ich so
hart sein konnte. Wir bogen nach links ab in Richtung Neue Heimat. So wie wir
drauf waren, gab es sicher noch mehr Stress. $abrina war in dieser Nacht stolz
auf mich. Doch wir hatten Glück gehabt, dass es friedlich endete.
Dennoch hatte
ich dem Schergentum erfolgreich Paroli geboten, auch wenn ich durch den
Auftritt mit Sicherheit in einer Asozialen- und Schlägerdatei landete.
Die Brücke unter der
wir das Diebesgut
Dumm gelaufen
ie
Fördestraßenbrücke war nicht superhoch. Die Hochbrücken waren deutlich
höher. Von der Schnellstraße führte eine Treppe ins Endmoränental. Unter der
Brücke ließ sich herrlich Party machen, bloß die Fahrgeräusche der Autos
nervten, wenn Sie über die Metallschwelle am Anfang der Brücke fuhren. Wir
saßen hier mal mit Kasi-Rekorder und soffen.
Im Treff
herrschte Hochkonjunktur. Ergo brachen wir eines nachts in den Jugendtreff ein,
benebelt und aus einer Laune heraus. Ich weiß n icht mehr, mit wem ich das Ding
drehte, kann es mir aber schon denk en. Jedenfalls waren wir zu dritt.
Die
Kellerfenster mit den Metallgittern konntest du mit einem Kick auftreten. Ich
machte zwar keinen Kampfsport, zumindest damals noch nicht, aber ich hatte mir
die Kicks von den Kampfsport-Kids aus dem Stadtteil abgeschaut, vor allem vom
Teakwondo-Freak, auch wenn der mit Kicks in der Öffentlichkeit geizte. Das war
die Ultima Ratio. Im Tr eff und am dazugehörigen Kindergarten gab es bestimmt
12 Kellerfen ster mit vorgelagerten, auftretbaren Metallgittern. Beim Tritt
gegen die Metallgitter sprang das ganze Fenster aus der Fassung. Wir stiegen d
urch eins der Fenster ein. Wir mussten aufpassen, denn in NRW wurd e wieder ein
Jugendlicher in unserem Alter erschossen, der in einen Jugendtreff eingebrochen
war. Der Keller war dicht zugestellt. Deshalb konzentrierten wir uns auf die
großen, versiegelten Kartons. Plötzlich rief jemand laut
„Tennisschläger!“
Wir eilten zu
unserem Kollegen und nahmen die ersten Rackets aus dem Karton, die noch in Plastiktüten
eingeschweißt waren. Hier lagen bestimmt 40 Tennis Rackets. Offensichtlich
wurde der Keller des Jugendtreffs als Zwischenlager genutzt, de nn für die
Kids im Jugendtreff waren die ganz sicher nicht gedacht. Bei dem Budget des
Treffs blieb uns, wenn überhaupt, einmal im Jahr einen Besuch beim
Bowlingtreff. Das Anmieten von Tennisplätzen hing egen wäre utopisch gewesen.
Wir
entpackten die ersten Schläger. Keiner von uns hatte Ahnung von Tennis, auch
nicht von Tennis-Marken. Wir konnten nicht einschätz en, was die Schläger
wert waren.
Bei solchen
Aktionen planten wir zum einen für den Eigenbedarf, zu m anderen ließ sich das
Zeug verticken. Es gab eine Vermutung, wem die Tennisschläger gehört haben
könnten. Einem Anwohner, der im V orstand des Tennisvereins war. Doch der
hatte nichts mit dem Jugend treff zu tun. Egal.
Ich kannte
den Kellerraum bereits, denn ich hatte darin mal eine ein malige
Übungsraumsession mit Geisel – er mit Bass, ich mit E-Gitarre plus C64 als
Drumcomputer. Wir konnten uns den Übungsraum nicht langfristig sichern, denn
dazu waren die Heavy Metal Kids zu mächtig. Seis drum. Jedenfalls kannte ich
den Raum schon und wusste, wo der Lichtschalter war. Jeder von uns nahm jetzt
so viele Tennisschläger, wie er tragen konnte. Später zählten wir am
Versteck 27 Tennisschläger.
Das Versteck
unter der Fördestraßenbrücke war erprobt. Hier hatten wir früher schon
Zigaretten versteckt. Für Zigaretten waren wir da deutlich zu jung, um rauchen
zu dürfen. A.K. war dabei. A.K. behauptete, du kannst Zigarettenfilter
sammeln, von Papier befreien, auf die Handfläche legen und Nagellackentferner
darauf kippen. Dann schmelzen die Filter und sehen aus wie Sperma. Das glaubten
wir alle und probierten es mehrmals aus. Es war eine ziemlich Sauerei, die
brutalst nach Chem ie roch und die Haut anätzte. Wir glaubten es, obwohl die
breiige Flüßigkeit braun war und nicht weiß. Doch wer wusste in unserem Alter
sch on, wie Sperma aussieht. Ich versuchte später mehrmals mit Nagellack entferner
Sperma zu erzeugen. Ich war skeptisch.
Ganz in der
Nähe war der Knick an der Parkbucht, in dem der alte Traber immer seine
Flachmänner trank, bis das ganze Gebüsch voll lag m it Flachmännern. Weiter
unter im Tal schlachteten die Rocker die geklauten Motorräder aus. Wir fanden
später immer nur die Motorradleich en. Jedenfalls mussten wir die Treppe
runter, unter der Brücke durch und auf halber Strecke der nächsten Treppe
gingen wir hoch ins Gebüsch am Abhang, wo schon einige Löcher gegraben waren.
Hier legten wir die Tennisschläger ab und wussten immer noch nicht, was sie
wert war en. Wir scharrten etwas Erde darüber, bis die Rackets nicht mehr zu
se hen waren. Danach gingen wir nach Hause. Als wir am nächsten Tag wieder zur
Brücke kamen, waren die Tennisschläger verschwunden. Das
war echt
übel. Wir konnten uns schlecht gegenseitig verantwortlich machen. Ich
schluckte die Pille, hatte eh mehr Chaos als Profit im Kopf.
Später war
Disco im Gemeindezentrum. Wir zogen das Ding durch u nd waren voll. Natürlich
fuhr kein Bus. Also gingen wir den weiten Weg zu Fuß. Wir waren zu fünft oder
zu sechst. Ich hatte im GZ einen Feuerlöscher geklaut. Jetzt lief ich Idiot
den ganzen Weg zurück mit dem Feuerlöscher auf der Schulter, als wäre es das
Normalste der Welt. Um die Uhrzeit fuhr hier eh kein Auto mehr. Schließlich
kamen wir zur Fördestraßenbrücke, wo zuvor der Coup mit den Tennisschlägern
gescheitert war. Jemand schrie
„Schmeiß runter den Scheiß!“
Da setzte ich
mitten auf der Brücke den Feuerlöscher ab. Es war schon so gut wie hell. Ein
paar Lux fehlten noch. Von Sonne jedoch noch keine Spur. Ich schaute mir den
Feuerlöscher an, nahm den Schlauch in die Linke und den Trigger in die rechte,
stellte das Unterteil des Feuerlöschers aufs Geländer ... und drückte ab.
Ich drückte den gesamten Fe uerlöscher leer. Eine weiße Wolke setze sich
frei. Der Feuerlöscher krachte die rund 20 Meter runter. Das ganze Tal unter
uns war jetzt einge nebelt. Unter der Nebeldecke war nichts mehr zu sehen. Es
war ein vis uelles Spektakel. Danach ging ich weiter meinen Kumpels hinterher
un d ließ das eingenebelte Tal zurück. Chaos is my life.
Der Haschtee
(Zwischen Drogenerfahrungsaufarbeitungsliteratur und
jugendgefährdende Schriften)
n dieser
Woche sollte die US-psychedelic Punkband Dinosaur Jr. in Hamburg im Docks
spielen. Wir saßen in einer Wohnung in Kiel und bereiteten einen Haschtee zu.
Der Saxophonist unserer Band zerstückelte einen Haschklumpen und setzte den
Wasserkocher auf. Er packte die Handfläche voll Haschkrümel in eine Kleine
Teekanne, goss das koch ende Wasser auf und ließ den Haschtee ziehen. Er
behauptete, sich mit Dosierung, Ziehzeit und Wirkung gut auszukennen. Doch der
Tee wurde zu stark. Er schenkte den Tee in Tassen, die wir ganz normal wie
Pfefferminz- oder Hagebuttentee tranken. Die Wirkung entfaltete sich schnell.
Plötzlich rief jemand, „Dinosaur Jr.“ spielen heute im Docks. Es herrschte
sofort Aufbruchstimmung.
„Ach ja, ganz vergessen.“
„Wir müssen sofort los!“
„Los, das dürfen wir nicht verpassen.“
Wir zogen uns
an und gingen runter zum Auto. Ich habe No Recall, ob noch eine Dritte Person
mit im Auto saß. Jedenfalls saß ich hinten, und der Fahrer fuhr mit einem
Höllentempo zur Autobahnauffahrt. Da merkte ich bereits, dass der Tee zu hoch
dosiert war. Der Fahrer lachte diabolisch und fuhr wie der Henker, denn wir
wollten rechtzeitig zum Konzert am Docks sein. Noch bevor wir auf der Autobahn
7 waren, verlor ich das Bewusstsein. Mein Kopf sackte nach hinten und lag auf
der Kofferraumablage des Kleinwagens. Ich wurde jetzt nur noch kurz wach, wenn
der Fahr er über eine Bodenwelle bretterte und einen Lenkfehler korrigierte.
Erst in Hamburg kam ich wieder zu mir, allerdings waren meine Augen fast dicht
und wirkten geschwollen. Der Saxophonist trug einen Psychobilly-Flattop und
eine runde Nickelbrille, sodass er aussah wie eine Eule. Wir parkten in einer
Nebenstraße der Reeperbahn, direkt an einer Punkkneipe namens Gun Bar. Wir
gingen zum Docks und es ging mir kacke. Ich hatte Schüttelfrost. Der Fahrer
hingegen hatte Power wie eine f antastische Comicfigur. Er strahlte, lachte,
hatte eine geschwellte Brust, kommentierte alles mit Wortwitz und explodierte
fast vor Energie. Bei mir war das genaue Gegenteil der Fall. Ich wirkte
zusammengekauert, blass, hatte halb geschlossene Augen und blieb wortlos,
wirkte wie ein Scheintoter. Plötzlich standen wir vor dem Docks und bekamen
einen Schreck, als wir erkannten, dass das Stahlgitter am Eingangstor runterge
lassen war. Auf dem Gitter hing ein Ankündigundgsposter für das Dino saur
Jr.-Konzert. Wir hatten anscheinend alles richtig gemacht, nur dass hier keine
Schlange oder Menschentraube stand und das Gatter runtergelassen war. Wir
checkten das Problem nicht, dachten zunächst, es sei ein Nachtkonzert, dass
erst ab 11 oder 12 Uhr losgehen würde. Plötzlich stand ein Pärchen neben
uns, dass das Plakat kurz las.
„Ah, gut, das ist morgen.“
sagte die
Frau. Da bekamen wir einen Schreck, denn wir hatten nicht gecheckt, dass auf
dem Plakat das Datum des morgigen Tag es stand. Wir traten an das Plakat heran,
um es zu studieren.
„Was ist denn heute für ein Datum?“
„Ach Scheiße, wir haben uns im Tag
geirrt.“
Wir waren
also in unserem Haschteerausch am falschen Tag nach Ha mburg gefahren. Jetzt
wollten wir zum Auto zurück, verliefen uns aber zunächst auf der Reeperbahn.
Nach einer halben Stunde fanden wir en dlich die Seitenstraße und unseren
Parkplatz mit dem Kleinwagen. Die Kneipe hatte jetzt offen. Wir gingen hinein
und es lief härtester Punkro ck, wie wir ihn möchten. Wir bestellten uns ein
Bier und gingen zum Kickertisch. Beim Kickern bemerkte ich jedoch, dass ich
viel zu breit wa r und Koordinationsprobleme hatte. Beim Saxophonisten war das
ähnl ich, sodass wir das Spiel zwar gerade so zu Ende brachten, aber sonst z u
nichts mehr in der Lage waren. Wir erzählten der Tresenfrau von un serer
Schlappe mit dem Konzert. Sie hörte sich das an und rauchte. Jetzt nahmen wir
uns vor, am morgigen Tag rechtzeitig und nüchtern zum anvisierten Konzert zu
fahren. Wir tranken noch ein Bier am Tresen u nd gingen zurück zum Auto. Wir
stiegen ein, und ich saß jetzt auf dem Beifahrersitz. Doch der Fahrer war
inzwischen so benebelt, dass er kaum noch das Fahrzeug starten, geschweige denn
lenken konnte. Trotzdem bogen wir wieder auf die Reeperbahn ein und entfernten
uns gut zw ei bis drei Kilometer, bis wir auf einem Parkplatz in einer Art
Industrie - oder Gewerbegebiet standen. Wir hatten auf dem Weg auch einen kle
inen Unfall, nichts Bedrohliches. Wir fuhren ein parkendes Auto an un d
begangen Fahrerflucht.
„Das ist vielleicht ein Rumgeeier hier!“
„Konzentrier dich mal.“
Als sei es
das Normalste der Welt, fuhr er einfach weiter. Auf dem Parkplatz bemerkten
wir, dass es so nicht mehr weitergeh en konnte.
„Lass uns mal hier warten, bis wir wieder
klar im Kopf sind.“
Hier baute
der Fahrer noch eine Haschtüte. Und wir schliefen gut drei bis vier Stunden
auf den Sitzen auf diesem Parkplatz. Als es früh langsam wieder dämmerte,
führen wir nach Kiel zurück und bauten zum Glück keinen weiter Unfall mehr.
Auf der Rückfahrt hatte ich Schüttelfrost. Der Fahrer fuhr mich nach Hause
sagte noch.
„Lass uns morgen mal rechtzeitig los,
damit wir auch nicht die Vorband verpassen.“
Am Tag des
Konzerts waren wir jedoch so hinüber, auch mit Halluzinationen, Depris und
körperlichen Symptomen, dass wir nicht mehr in der Lage waren, nach Hamburg
aufzubrechen. Der Haschtee muss viel zu stark dosiert gewesen sein.
Wahrscheinlich hatte der Saxophonist da gut zwei Gra mm von dem schwarzen
Afghanen reingebröselt. Wir hatten die Sache total verkackt und Dinosaur Jr.
Bis auf den heutigen Tag nicht gesehen.
Der Chicken-Squawk
Bog, bog,
bog
uf der MDC LP
Millions of Damn Christians befindet sich ein Song, der Chicken Squawk heißt.
Die Thematik Landleben und Leben auf Bauernhöfen wurde bereits von einigen
Punk-Bands aufgegriffen, so auch von Chaos UK mit dem Song Farmyard Boogie oder
UK Subs mit Down on the Farm. Doch beim Chicken Squawk von MDC handelte es sich
streng genommen sogar um einen Tanz. Das konnten wir noch nicht erahnen, als
wir den Song Chicken Squawk zum ersten Mal hörten. Das Interessante an dem
Song ist, dass er nicht nur einen erzählerischen Text hat, sondern auch einen
Refrain, bei dem die Geräusche eines Huhnes imitiert werden, und zwar bog,
bog, bog, bog, bog, bog, bog. Dies Hühnergegacker verlief im Rhythmus der
Musik mit einer eigenen Me lodie, die sehr einprägsam war. Noch hatte wir MDC
noch nicht live ge sehen und konnten noch nicht einschätzen, was es mit dem
Chicken Squawk auf sich hatte. Als MDC schließlich das erste Mal in Kiel, in
der Alten Meierei spielten, stand schlussendlich der Song Chicken Squawk a uf
der Playlist. Erst jetzt erkannten wir, dass sich hinter dem Chicken Squawk ein
Tanz verbarg, bei dem der Sänger Dave Dictor extra von der Bühne stieg und im
Publikum den Chicken Squawk vollführte, währe nd er das Mikro in der linken Hand
hielt. Er ging für den Chicken Squawk extra in die Hocke, bewegte sich im
Krebsgang und hielt sich die rechte Hand über den Kopf mit
auseinandergespreizten Fingern, die er so hielt, als hätte er einen
Hahnenkamm. Während er sich jetzt so bewegte, ein Huhn imitierend, sang er die
ganze Zeit das bog, bog, bog, bog, bog, bog wie ein verrücktes Hühnchen im
Rhythmus der Musik in d er Chicken Squawk Refrain-Melodie. Währenddessen
standen seine Bandkollegen auf der Bühne und spielten ihre Instrumente im
Hardcore-Style. Jetzt war der Chicken Squawk auch in Kiel angekommen. In
Zukunft kamen wir bei Trinkgelagen immer wieder auf den Chicken Squawk zu
sprechen. In Extremfällen wurde er spontan imitiert, und das ni cht nur aus
Spaß an der Freud, sondern auch zu Illustrationszwecken und nicht nur wenn MDC
lief. Ich kann mich an eine Situation im Kom
munalen Kino
in der Pumpe erinnern, als wir uns mit vier oder fünf Leuten einen Film
ansahen. Mit dabei war der Drummer der damaligen Schulband der Gesamtschule,
der leicht einen in der Krone hatte. Wie aus dem Nichts fing er plötzlich mit
einem Chicken Squawk an, während der Film bereits lief und alle Kinobesucher
sich voll auf den Film kon zentrierten. Niemand wusste, weshalb der Drummer
jetzt auf einmal den Chicken Squawk assoziierte und für bestimmt fünf Minuten
im Kino das Bog, Bog, Bog brachte, bis wir Angst um seine Psyche bekamen.
Spätestens nach einer halben Minute war das hochnotpeinlich, doch nie mand
traute sich zu intervenieren, denn der Drummer war übergesch nappt. Während
des Chicken Squawks blieb er auf dem Kino-Stuhl sitzen und bewegte sich wie ein
Hühnchen, zuckte mit dem Kopf und tanz te mit den Ellenbogen. Irgendwann war
er duch mit seinem Sitting Chicken Squawk und konzentrierte sich wieder auf den
Film, umklammerte dabei sein Bier. Da hatten wir schon alle wieder
Bauchschmerzen, und waren froh, dass dieser spontane Chicken Squawk vorüber
war. Wir hatten schon die Befürchtung, dass es ein Hausverbot geben oder es zu
Handgreiflichkeiten kommen könnte. Wir nahmen diesen Chicken Squawk zur
Kenntnis und sahen uns den Film in Ruhe zu Ende an. Grundsätzlich ist der
Chicken Squawk ein Ausdruck guter Laune. Doch wer weiß, was passiert wäre,
wenn die Schergen eingegriffen hätten, um d en Chicken Squawk zu unterbinden.
Deshalb ist der Chicken Squawk auch ein Politikum, das nur wohl bedacht
eingesetzt werden sollte. Ergo ist der Chicken Squawk ein Kulturgut und eine
Waffe zugleich. Er ist e in kultureller Import aus den USA, der weltweit in jedem
Land verstan den wird, denn überall auf der Welt gibt es Hühner, die, wenn
sie geär gert werden, selbst einen Chicken Squawk vollführen. Daher ist der
Tanz auch ein Anthropomorphismus.
Meine Freundin attackiert
mich
ir waren
Silvester zu Pjon-Chicken nach Dorf P. eingeladen. Wir feierten zu viert. Neben
dem Gastgeber Pjon-Chicken war eine Tresenfrau aus der Subway-Disco eingeladen,
dazu $abrina und ich bekanntermaßen als Pärchen. Unser Dealer Ritscher war
nicht da. Pjon-Chicken wohnte nach wie vor in der garagenähnlichen Unterkunft
in Dorf 21 neben dem Pflaumenbaum meiner Großeltern, die Dorf 20 wohnten. Wir h
örten an diesem Abend Killing Joke, Matt Bianco, Alien Sex Fiend, B 52’ s und
Iggy Pop. Ich war zu der Zeit voll auf Kleptomanie. Ich klaute alles, was nicht
niet- und nagelfest war, füllte all meine Taschen, schob mir Diebesgut vorn in
die Hose, sodass es gerade noch unbemerkt blieb. Zigarettenschachteln passten
gut in die Strümpfe, Flaschen vorn in die Hose. Ab 1-Liter-Flaschen wurde es
kritisch. Lambrusco-2-Liter war vorne unmöglich, das checkten wir sofort.
T-Shirt und Pullover wurden idealerweise in die Hose gesteckt, sodass ins
T-Shirt geworfenes Diebesgut nicht unten rausrutschte. Das war der Lernprozess,
denn ich schon als Teenager beim Schallplattendiebstahl begriffen hatte. Wenn
ich alle einzelnen Produkt-Token zählen würde, käme ich auf bestimmt 1000
Teile. Damit war ich Volxschädling Nummer eins. Auch die Sekt- und
Champagnergetränke für die Party hatte ich zwischen Weihnachten und Silvester
gezockt. Ich machte meine Freundin glücklich mit dem Diebesgut, ob mit
Zigaretten, Champus oder Süßigkeiten. Das war Liebe, wenn ich ihr eine Packung
West oder Prinz Denmark präsentierte, als käme der Fischer vom Fischfang oder
der Jäger vom Schützenfest. Die ganze Familie meiner Ex liebte mich dafür,
dass ich nicht arbeiten ging, aber trotzdem Neuware mit nach Hause brachte. Das
war gelebte Kleinkriminalität. Zudem bauten wir unspektakulär Marihuana an,
sowohl im Haus meiner Eltern als auch in Dorf D. inmitten all der Rocker und
Bauern.
Kriminalität
war das verbindende Element. Ich kannte damals niemanden, der nicht kriminell
war. Viele begangen Straftaten nicht aus fina nziellen Gründen, sondern aus
Spaß an der Freud, weil sie den Kick brauchten, oder um den größtmöglichen
Lacheffekt zu erzielen. Sinnlosig
keit war
Trumpf. Die Subway-Tresenfrau hatte zuvor eine Lehre zur Bankkauffrau
absolviert, jedoch schnell gepeilt, dass das nicht ihr Ding w ar. Niemand hielt
sie für eine Schergin. Ich habe sie meinen Lebtag nur in Schwarz gesehen.
Selbst ihr Brillengestell war schwarz. Mir war sie etwas zu fett. Ich brauchte
drahtige Dinger mit Punkfrisuren und keine übergewichtigen
Gruft-Schnappsdrosseln. Für Silvester hatte ich mit Pjon-Chicken bei Sky
Steaks geklaut, dass wir uns am Silvesterabend bru zzelten. In Dorf P. war es
mit dem Silverstergeknalle erträglich, obwohl sich auf halber Strecke zwischen
Dorf P. und Dorf D. eine Böllerfabrik befand, deren Mitarbeiter verdächtig
gut eingedeckt waren und die Silvesternacht am Dorfteich durchknallten.
Pjon-Chicken pflegte zu feierlichen Anlässen immer Cyber-Schnaps wie Bols Blau
und anderen Süßkram zu verhaften, Hauptsache, es war stilvoll und klingelte.
Ergo saßen
wir Silvesterabend zu viert gemütlich beisammen. Pjon-Chickens Plattensammlung
war ganz auf die Discos Pfefferminz, DNA und Prisma abgestimmt. Was die DJs am
häufigsten spielten, wurde bevorzugt gekauft. Um null Uhr wurde mit
Sektgläsern angestoßen. Der Fernseher lief zwar, jedoch ohne Ton, sodass wir
weiter Musik von LPs und Maxis hören konnten. Ich weiß nicht, was aus der
Tresenfrau wurde , ob sie ein Taxi bekam, ob sie besoffen mit dem Auto fuhr
oder sogar bei Pjon-Chicken übernachtete. Jedenfalls gingen $abrina und ich im
M orgengrauen sturzbetrunken den Feldweg Scheuermannredder von Dorf P. nach
Kiel-Pries, wo wir in meinem Zimmer zu übernachten plant en. Wir waren mitten
auf dem Feldweg, als $abrina mir plötzlich schärfste Vorwürfe machte, ich hätte
der Tresenfrau „schöne Augen“ gemacht und plane fremdzugehen, hätte dies
wohlmöglich bereits getan. Die Vorwürfe waren absolut haltlos, und das sagte
ich $abrina auch, bis sie anfing, auf mich einzuschlagen.
„Du Schwein, Du willst mich betrügen!“
„Die Alte interessiert mich doch gar
nicht,“
entgegnete
ich.
Doch $abrina
hämmerte mit den Fäusten weiter auf mich ein.
„Du Schwein! Du Schwein! Du mieses
Schwein!“
Als wir fast
an der Fördestraße waren, packte ich sie an beiden Hand
gelenken, bis
sie von ihrem Hardcore-Trip runterkam. Ich griff fest zu und schüttelte sie
rhythmisch, akzentuiert während ich meinen Stand punkt wiederholte.
„Kapier. Das. Mal. Die Tresenfrau.
Interessiert. Mich. Null. Absolut null.“
Daraufhin gingen
wir zu mir und schliefen unseren Rausch aus.
Kettenschläge beim METEORS
Konzert
Punk Rock was
my First Love
s war das
erste Mal, dass ich The Meteors sah. Ich hatte bereits Unm engen Platten diese
Psychobilly-Band – oder Punkabilly wie einige sag ten. Jetzt fuhren wir mal
wieder nach Hamburg, denn die Meteors sollten an der Reeperbahn im Docs
spielen. Steff war dabei, wahrscheinlich auch $abrina. Das Konzert war schon
krass. Zu der Zeit war überall der Kampfsport Wing Tsun angesagt. Ich kannte
eine ganze Reihe an Leut en, die im Verein Wing Tsun trainierten. Von denen
sagten wirklich all e, Wing Tsun sei die effektivste Kampfsportart, die es
gibt.
Ich staunte nicht schlecht, als die
Meteors ihre ersten Hits gespielt hatten, dass vereinzelte Psychos damit
anfingen, die Wing Tsun Style Kettenschläge zu imitieren und sich teils damit
zu attackieren. Einer fing damit an, die anderen taten es ihnen gleich. Aus dem
Tumult wurde jed och eine Kreisbewegung. Aus dem Chaos entstand Ordnung. Das
Kreuz und Quer wurde wie von Geisterhand in geordnete Bahnen gelenkt. W ie beim
Pferderennen liefen die Psychos plötzlich alle im Kreis, vollführten
weiterhin diese schrecklichen Kettenstöße. Jetzt liefen schon über 30
Personen gegen den Uhrzeigersinn mit diesen Kettenschlägen im Rund.
Übergangslos gingen die Meteors zum nächsten Song über. Jetzt l ief ihr Hit
Wrecking Crew. Da flippten die Psychos vor der Bühne so richtig aus. Der
Sänger und Gitarrist Paul P. Fenech verfolgte das Gesch ehen erschrocken mit
aufgerissenen Augen. Die Band muss sich gefrag t haben, wo sind wir denn hier
gelandet. Viele hatten ihre T-Shirts ausg ezogen, damit ihre Muckies besser zur
Geltung kamen. Immer mehr sc hlossen sich diesen Circle Psychos oder Circle
Jerks an und taten es ihn en gleich. Da mir in meinem Stadtteil auf der Straße
ein paar Wing Ts un Sachen beigebracht wurden, konnte ich etwas mit diesen
Kettensch lägen anfangen und wusste, was das war. Ich hatte sie zu Hause viele
Male wie beim Schattenboxen geübt. Doch jetzt erfolgten die Kettenschläge
nicht an ein und derselben Stelle, sondern im Kreisverkehr. Ich reihte mich in
die Psychobilly-Horde ein und lief mit ihnen gegen den Uhrzeigersinn. Auch ich
machte diese Kettenschläge. Es wirkte, wie in einem Strömungsbecken beim
Schwimmen. Wir hatten einen guten Flow. Es bestand kaum Verletzungsgefahr, da
wir alle in eine Richtung schlugen. Wenn es nicht wieder diese Brachialtypen
gegeben hätte, die zwisc hendurch versuchten, die Richtung zu wechseln. Also
wurde es doch wieder chaotisch. Die Psychos wären irgendwann erschöpft und
die Ban d drosselte mit dem nächsten Song das Tempo. Jetzt sahst Du nur noch
vereinzelte Psychos mit Kettenschlägen operieren. Wir sahen Flattops, hohe
Flattops, Undercuts, ausrasierte Nacken, Hörnchen, Misfits-Ponys, Psychobilly
Iros, Tollen, Psychobellas - alles, was ging. Es war sehens wert und einzigartig.
Wir fuhren glücklich nach Hause.
Sexueller Übergriff in der Disco Subway
(♀
gegen ♂)
ie
Discothekisierung der Bergstraße hatte noch nicht einmal ihren Höhepunkt
erreicht, als ich wie gewohnt die vielen Treppenabgänge in die Subway Disco
runterstolperte.
Oben an der
Subway-Kasse saß !S!P!O!I!L!E!R! mit seinen fetten Kotties, wo er auf seinem
Barhocker quakte und hinterherquakte. Die Kas se befand sich auf der Plattform,
auf der sich das alte Pfefferminz befand, ebenso die Garderobe.
Ich war jetzt
endlich im Subway, trug einen breiten Iro, den $ mir rasiert hatte, dazu eine
mehrere Unzen schwere Motorradlederjacke ohne Nieten. Die Jacke hatte hinten
eine kleine integrierte Kette für den Klei derhaken, die mir in hitzigen Momenten
das Genick kühlte. Ich trug 8-Loch (nur!) schwarze Doc Martens schwarz und
eine Hose in einem Blau-Grün-Weiß-Schwarzem Schott*nnenmuster, die $ mir
geschneidert und zum Abi ’88 geschenkt hatte. Die f*cking Lederjacke hatte ich
wahrscheinlich von Feuerwehrmann Jenner, Ursprung unbekannt. Sie kann aber auch
von Heimerich-Holzbein gewesen sein, der Phasen hatte, in denen er Lederjacken
kategorisch ablehnte zugunsten der Bomberjack oder einer Jeansjacke.
Das Subway
war längst abgesoffen. Kadderina hatte Tresenschicht zu sammen mit Waver Koh.
Koh näselte wie gewohnt, hatte an der Nase keine sichtbaren Mehlspuren.
Am Regler
stand Lockie Schmidt, der gerade den Song “Where did she come from?“ der
Aussi-Band Hard-Ons spielte.
Ich lehnte
jetzt am Tresen, neben mir besetzte und unbesetzte Barhocker. Ich stützte mich
mit verschränkten Unterarmen auf den Tresen, d er immer noch einen Riss hatte
vom Faustschlag des Wavers Armin au s 2300 Kiel-Gaarden. Swantje aus der
Annen(privat)kneipe stand hinter mir an der Tanzfläche, klatschte wie gewohnt
mit ihrer Sisterhood. Swantje war die Schwester von !S!P!O!I!L!E!R! und
glaubte, sich das erlauben zu können, was jetzt folgen sollte. Ich stand
weiter wie eine schräge Planke am Tresen, wie ein Storch auf sein linkes Bein
gestützt, wäh rend das rechte auf dem linken Fuß fusste, quasi Doc auf Doc.
Ich unt erhielt mich störend mit den geballten Tresenkräften, sobald sie
vorbeikamen oder eine Schaffenspause einlegten, also rauchte. Auf einmal
verspürte ich einen festen Griff an meinem Boppas und wandte mich n ach
hinten. Swantje hatte mir in den Fußballera*sch gegriffen und glotzte mich
provokativ an. Ich blickte über die Schulter nach hinten, ohn e den
Tresenplatz aufzugeben. Das war schon ein Schmerzgriff, fast wie der Griff
eines Zuhälters. Die Hose war an diesem Abend tödlich. Da checkte ich erst,
dass es sexuelle Übergriffe gegen Männer gibt. Ich beließ es bei ermahnenden
Blicken.
Swantje
zankte sich immer wieder mit mir, denn sie hielt mir selbst nach Jahren noch
vor, ‘83/’84 mit den Konz-Brüdern gesoffen zu haben, mit denen sie doch selbst
einst gefröschelt hatte. Obendrein war sie mit Yawara-Fiebrig verheiratet, der
sie aus bisher ungeklärten Gründe n nach der Hochzeit verließ. Ich zeigte ihr
die coole Schulter und war stolz auf die Schottenmusterhose. Ich hatte sie zu
häufig getragen. Kurze Zeit später wurden im Subway die Kuhglocken geläutet
und ich ging noch „runter“. Ein paar Monate später rissen die Nähte der
Schott*nnenmusterhose aus Verschleiß. Ich hatte sie zu häufig getragen ohne
sie rechtzeitig mit Flicken zu verarzten.
Meine Ex fackelt meinen
Perso ab
(Bukowski-Style)
eine Ex hatte
lange schwarze Haare, war eher Slut als Punk. Sie trug meistens matt-rosa
Kleidung, konnte aber auch mal auf Goth gestylt auftauchen.
Die Frau
wollte unbedingt einen Zivi als Freund. Und Ellis Entscheid ung sollte auf mich
fallen. Einer meiner Zivi-Kumpels machte uns im Error bekannt. Er selbst ging
mit ihrer besten Freundin Biggi. Die Biggi behauptete, Elli nutzt ihre Freunde
nur aus. Wahrscheinlich wolle s ie nur meinen Zivildienst abchecken, um für
sich selbst daraus Vorteile zu ziehen.
Ich fing zu
der Zeit an, kleinere Musikfestivals in einem türkischen Café in Kiel-Nord zu
organisieren, vor allem mit Bands aus dem Spektrum Punk, Wave und
Metal-Crossover. Elli kam aus dem Umfeld einer Band, die sich im Dunstkreis
ihrer ehemaligen Schulklasse gebildet hatte.
Wir verließen
das Error und gingen in den Park. Auf dem Weg an der Litfaßsäule drehte sie so
lange mit dem Schultergelenk, bis der Träger des Tops von der Schulter über
den Oberarm rutschte. Das fand ich geil. Später knutschten wir. Doch erst nach
dem ersten Telefonat und dem Treffen darauf waren wir zusammen.
Wir trafen
uns meistens gegen Abend und trennten uns am späten Vormittag. Manchmal trafen
wir uns nach der Spätschicht meines Zivild ienstes. Einmal besuchte sie mich
in der Behinderten WG, in der ich d en Zivildienst machte. Ich musste einen der
zwei Rollifahrer ermahne n, dass er sie nicht antoucht. Er war leider so
veranlagt, doch er hörte auf mich. Meistens.
Bald machte
sie ihren Führerschein. Als sie den f*cking Lappen schlu ssendlich hatte, kam
sie mit einem kleinen Silber- oder Stahltablett auf mich zu, hatte den Führerschein
darauf gelegt und präsentierte ihn mir stolz. Ich gratulierte. Danach f*ckten
wir.
Die Beziehung
verlief eine ganze Weile sehr spannend und ausgeglichen, auch wenn ich meistens
oben lag.
Eines Tages
erhielt ich einen Brief von ihr. Der Brief enthielt verkokelte Plastikreste,
die unten aufs Briefpapier geklebt waren. Ich wusste da noch gar nicht, dass
sie während meiner Abwesenheit meinen Personal ausweis abgefackelt hatte und
mir jetzt die angekokelten Reste per Brief zuschickte. Mir war zunächst nicht
klar, was das war und was das sollte. Ich bekam rußige Finger, und das teils
verkohlte und zerschmolzene Plastik bröckelte an einigen Stellen auseinander.
In dem Brief erklärte sie mit kryptischen Worten, dass sie meinen
Personalausweis angezünde t und abgefackelt hatte. Ich verstand das nicht auf
Anhieb. Die angekokelten Reste, die sie mir jetzt schickte, nannte sie
„Perso-Schmelze“. Das checkte ich nicht. Was meinte sie damit? Sie hatte
weitere verkokelte Reste der „Perso-Schmelze“ in ihrem Zimmer in einer kleinen
Schale für Räucherzeugs. Auch in den folgenden Briefen schickte sie mir
geschm olzene und verkohlte Partikeln des Ausweises. Das war natürlich
ziemlich anarchistisch und kriminell. Ich hätte dafür büßen können. Als wir
u ns das nächste Mal bei ihr trafen, sagte sie
„Dein Perso ist jetzt in einem anderen
Aggregatzustand.“
und sie
freute sich fortwährend. Sie lachte richtig krankhaft, wie ein aufziehbares
Computerpüppchen mit einlegb arer Mini-Schallplatte. Sie zeigte mir die kleine
Räucherschale. Jetzt wurde mir klar, dass das die Überreste meines
Personalausweises waren.
Was sie
abgefackelt hatte, war die erste Generation an Plastikpersos, die nach den
grauen Papierausweisen mit Pappdeckel ausgegeben wurden. Er brannte so gut,
weil er aus einer laminierten Papp-Karte bestand. Du konntest in dem Ausweis
nicht wie in einem Booklet blättern, wie früher beim grauen Perso, der
aussah, wie ein Pseudo-Reisepass. Der „Neue“ war übercodiert, enthielt
Prüfzeichen, Datensätze und Termine, ellenlange alphanumerische Codes, die
niemand checkte, Schrägstr iche, dein geriffeltes Foto und ein
Bundesadlerchen, als hätte ein deuts cher George Orwell ihn designt.
Jetzt war der
Perso futsch. Dabei war ich doch als Zivi auf den Ausweis angewiesen, nicht nur
wenn ich zu meinem Zivildienstlehrgang nach NRW fahren sollte, und in einer Stadt
wie Kiel mit sozialen Brennpunk ten wie Bergstraße oder „Küste“ war es ratsam,
ständig einen Ausweis dabei zu tragen, um die Cops bei Checks zu deeskalieren.
Ich musste
also schnellstmöglich ins Rathaus zum Einwohnermeldeamt und einen neuen
beantragen, dazu eine glaubwürdige Geschichte auftischen, weshalb der alte
Ausweis nicht mehr zur Verfügung stand. Ich konnte doch nicht einfach sagen,
meine Freundin habe ihn verbrannt. Ergo behauptete ich keck, er sei nach einem
Kneipenbesuch verschwunden gewesen.
„Entweder ist er mir gestohlen worden
oder ich habe ihn verloren“.
Das
akzeptierte das Einwohnermeldeamt ohne Murren.
Die Ex war
ohnehin recht schräg, doch ich fand das geil. Sie war genau mein Typ. Ich
hatte schließlich auch einen Schaden. Sie besaß eine Geige, auf der sie mir mal
vorspielte, allerdings draußen an der frischen Luft an der Trampstelle der
Schnellstraße. Sie schrieb regelmäßig Botschaften mit Lippenstift auf den
Spiegel, bevor sie das Haus verließ. Ich brauchte eine Weile, die Nachrichten
in Druckbuchstaben auf dem Spiegel zu entziffern. Elli schrieb ihre Messages
sowohl auf meinen Pseudo-Alibert-Schrank als auch auf den großen
Kommodenspiegel in ihrem Zimmer. Sie muss Unmengen an Lippenstift vergeudet
haben.
Elli war bei
den Anthros, die viele für eine Sekte hielten. Sie war ent sprechend
durchgeknallt und hatte ein paar sehr merkwürdige Alltagsroutinen. Sie besaß
einen Nebenjob im OP, sollte nachts Blut auffeudel n und den OP-Saal
sterilisieren. Sie brachte mir grüne OP-Kleidung mit und wollte
Pseudo-Arztspiele.
Sie nahm zwar
die Pille, doch wir nahmen immer ein Gummi-Kondom. Die Pille, die sie nahm,
hieß Minulette. Sie hatte kleine Aufkleber vom Pharmaunternehmen, ovalförmig
und rosa, auf denen stand “Don’t forget Minulette“. Sie klebte diese Aufkleber
sogar in meinem Zimmer an den Schrank.
Temporär
arbeitete sie in einer Zeitschriftendruckerei, brachte mir m ehrmals
stapelweise Zeitschriften und andere Druckerzeugnisse mit. Sie erstellte gern
Collagen aus Zeitschriftenfotos, klebte Fotos von sich d azu und versandte das
mit Liebesbriefen. Das war eine Kunst für sich.
Überraschenderweise
hatte sie ein paar Punktapes zu Hause, jedoch a lles nur End-70er-Sachen. Ich
schaffte es, eins ihrer Tapes zu kopieren – von Tape auf Tape – ohne
nennenswerten Qualitätsverlust. Da waren wirklich geniale Songs
drauf, von den Saints, Buzzcocks, The Pack, X-Ray Spex, The Boys, Jane Aire
& The Belvederes, Painterhead, The Pack, The Dark, Bad Actors, Twisted
Nerve, Unwanted, The Squeeze, DMZ und The Depressions. Einiges war aus dem Punk-/ New
Wave-Übergangsfeld. Das waren wichtige Songs für mich, denn ich hatte nur
wenige Punkplatten aus den End-70ern. Es war nahezu unmöglich, die LPs und die
Singles preisgünstig zu bekommen. Wenn Leute Platten aus dem Zeitraum besaßen,
waren es zumeist 999, Buzzcocks, The Damned oder Sex Pistols. Aber wohl kaum
die Raries, die auf Ellis Tape waren.
Das war’s
allerdings schon mit Punk in ihrer Platten- und Tape-Sammlung. Ansonsten hörte
sie Angelo Branduardi und Heinz Rudolf Kunze.
Im Gegenzug
gab auch ich ihr ein Tape von mir, schenkte ihr dazu m eine Sinead O‘Connor LP
”The Lion and the Cobra”.
Doch ein
Bekannter von ihr entdeckte bald auf dem Tape, das ich ihr gab, einen Oi!-Song,
den er als f*cking Skinhead-Musik klassifizierte. Das wurde gleich geahndet.
Der Song machte sie misstrauisch. Es war ein Stück der englischen Band The
Business. Ich weiß nicht, was an der Musik verwerflich sein sollte. Danach ging
es mit unserer Beziehung bergab. So war das damals, ein falscher Song auf dem
Sampler-Tape und schon war Schluss. F*ck the World!
Der Punk Nille fährt
mit dem Rad gegen eine Straßenlaterne
Der Punkrocker Nille stürzte an diesem Tag zweimal ab,
einmal alkoholbedingt und einmal fahrradtechnisch.
er
Anarcho-Punkocker Nille war von Hassee nach Friedrichsort gezogen. Er war
meistens mit seinem Fahrrad Rosinante unterwegs, führ auch im Suff und hatte
schon mehrere Fahrradunfälle.
Grundsätzlich
sah Nille mit seinem roten Haut Teint und seinen leicht rötlichen Haaren eher
aus wie ein Ire, wie ein IRA-Kämpfer oder Sinn Féin Mitglied. Da blieb ihm
gar nichts anderes übrig, als sich einen Iro schneiden zu lassen.
An diesem
Abend hatte er es wirklich übertrieben. Trotz des hohen A lkoholpegels setzte
er sich auf sein Fahrrad und wollte nach Hause. Er eierte und fuhr auf dem
Bürgersteig. Auf einmal machte es laut „DONG“. Es war ein dumpfer metallischer
Sound. Danach krachte es und Nille lag auf dem Bürgersteig. Nille war gegen
eine Straßenlaterne gefahren. Er hatte ein Platzwunde und Schwellungen, war
benommen und kam nur schwer vom Bürgersteig hoch. Prinz Nille rieb sich die
Beule an der Birne und checkte Rosinante.
Fortan hatte
er ein blaues Jochbein, ein Feilchen und eine Platzwunde an der Stirn. Das
Fahrrad war weiterhin funktionstüchtig. Jetzt fragte n ihn die anderen
Punkrocker*nnen
„Sag mal Nille, hat Dir jemand was an den
Kopf gehauen?“
„Oh, hat Dir jemand einen Knüppel auf
den Kopf gehauen?“
„Hast Du einen Baseballer abbekommen?“
„Hast Du eine Hauerei gehabt?“
Da sagte
Nille jedes Mal:
„Nein, ich bin im Suff mit Rosinante
gegen eine Straßenlaterne gefahren.“
„Oh, das sieht aber echt schlimm aus.“
Es sah
wirklich bedenklich aus. Jetzt hatte er sein Schlägerimage weg , denn für
viele klang der Fahrradunfall unglaubwürdig, wie eine billige Ausrede. Es
konnte sich nur um eine Schlägerei gehandelt haben.
Nille hatte
eine ganze Weile mit den Schwellungen zu tun. Das Feilchen war dazu kunterbunt.
Er war wirklich gezeichnet. Das geschah noch zu einer Zeit, als wirklich
niemand einen Fahrradhelm trug. Allerdings gehörte der Nille nicht der
Personengruppe an, die einen Fahrradhe lm nutzen würde, nicht zuletzt wegen
des breiten Youth Brigade Iros. Für die NDK-Kids war er zu spät geboren, auch
wenn er von der Mentalität dazu gehört hätte, zumal er Schallplatten von den
Forgotten Rebels , TSOL, MDC, Funeral Oration und L’Attentat besaß
Nilles
Kopfverletzung durch die Straßenlaterne sah jedoch so abschreckend aus, dass so
einige ihr Suchtverhalten im Straßenverkehr überd achte und ein oder zwei Bier
weniger tranken. Da auch ich regelmäßig besoffen mit dem Rad fuhr, war ich
gewarnt, als ich die Schwellungen sah, wie sich ein Zusammenprall mit einer
Straßenlaterne oder einem Verkehrsschild auswirken könnte. Allerdings fuhr ich
nie mit hohem Tempo besoffen. Wenn ich zur Schule oder zum Training musste,
fuhr ich mit hohem Tempo bergab. Kam ich jedoch nach dem Training besoffen aus
dem Sportheim, fuhr ich immer bergauf die Ottomanenstraße hoch. Ich bekam dort
kein hohes Tempo drauf. Allerdings überholten mich dort links Autos mit teils
bis zu 50 Stundenkilometern. Wenn ich werktags aus dem Sportheim heim radelte,
war es meistens 23 oder 24 Uhr, im äußersten Extremfall 1 Uhr nachts, je
nachdem, wie lange der Wirt Achill noch Getränke rausgab.
Es wurden mehrere krasse Fahrradunfälle
bekannt. Im Tal hinter der Gesamtschule hatte ein Radfahrer nüchtern bei full
speed eine Oma tot gefahren. Feuerwehrmann und Teamkollege Jenner hatte als
Teenager einen seitlichen Auffahrunfall gegen einen unachtsam fahrenden PKW ,
bei dem Jenner abhob und einmal seitlich über das bremsende Auto flog. Mein
Vater hatte durch Zufall den Unfall in Friedrichsort beobacht et, als er
Samstagmorgen einkaufen fuhr. Vater sagte, wäre Jenner nicht vom Fußball so
durchtrainiert gewesen, hätte er sich wohl alle Knoch en gebrochen. Außerdem
erzählte mein Vater, dass mein Großvater väterlicherseits in Oberfranken in
den 1950ern sogar bei einem Fahrradu nfall unter Alkoholeinfuss ums Leben
gekommen sei. Er war alkoholisiert mit dem Rad auf einer Landstraße nördlich
von Fürth unterwegs, als ihn ein Auto erfasste und den sofortigen Tod
bescherte.
Sogar einer
der Söhne von Gut Knopf, die sich sonst stets vorbildlich verhielten, fuhr im
Suff gegen einen Straßenpoller und erlitt einen Schlüsselbeinbruch. Doch das
mit Nille ging am stärksten unter die Haut. Er sah aus, als hätte jemand mit
einem Baseballschläger voll zugelangt. Später landete Nille mit
Kurzhaarfrisur im Gartenbau, spielte in einer American-Folk-Feierabendband –
Bluegrass genau genommen – gründete eine Familie und führte ein gesittetes
Leben. Dem Alkohol soll er weitestgehend abgeschworen haben.
Nille leiht mir die
L’ATTENTAT-LP
ir waren an
der Mole Stickenborn Nachtangeln. Wir trugen unsere Lederjacken und waren mit
den Fahrrädern und der spärlichen Angelausrüstung runtergeradelt, zogen die
Nacht durch und fingen ein paar Kleinigkeiten. Alkohol wurde nur in Maßen
konsumiert.
Wir hatten
von unserem Angelplatz am Steg beste Sicht auf das blaue Trockendock der
Lindenauwerft, solang es hell war. Auf der Außenw and des Docks befand sich das
Stadtwappen der derzeit sowjetischen Stadt Klaipeda. Davor befand sich die
Helling, die wie eine Abschussram pe aus dem Wasser ragte, links davor die
Kleinwerften Rathje und weit er hinten Gebrüder Friedrich, wo es häufig nach
Farbe, Beitzmittel und anderen Chemikalien roch. Auf dieser Seite von Stickenborn
ging au ch niemand baden, obwohl von der vermuteten Umweltsituation auf der
holtenauer Seite Stickenborn auch so manche Horrorgeschichte kur sierte. Doch
das zu behaupten wäre Rufmord an Marine und Werften.
Die
Aalquappen warfen wir wie gewohnt gleich wieder ins Wasser, ebenso Seeteufel,
die wirkten wie fette Kröten ohne Extremitäten jedoch mit Schwanz. Die
meisten Butte, die wir rauszogen, warfen wir wieder rein, da sie zu klein
waren. Wir mussten jedoch aufpassen, dass wir die ungenießbaren Fische nicht
verletzten, wenn wir den Angelhaken lösten. Ohne Fischblut ging die Sache
nicht von Statten. Wir benutzen wieder die einfachen Vorfächer mit
50g-Bleiblock zum Beschweren, hatt en beide halbgroße Teleskopangeln, an die
wir oben Angelklingeln bef estigten, damit wir es hörten, wenn Fische
angebissen hatten. Wir stellt en einen 10-Liter-Eimer für die gefangenen
Fische bereit, der zur Hälf te mit Wasser befüllt war. Waren die Butte groß
genug, verpassten wir ihnen auf dem Steg einen Schlag mit einem Knüppel oder
Werkzeug, b is sie nicht mehr zuckten. Die Dorsche waren korrekt. Es war doch
ganz schön kalt in der Nacht und es blieb auch nicht durchgehend trocken. Im
Morgengrauen wurden wir hungrig und malten uns aus, die Butte und Dorsche gleich
am Morgen in die Pfanne zu werfen.
Am Ende
hatten wir fünf Fische gefangen, drei Butte und zwei Dorsch, die jedoch von
der Größe recht grenzwertig waren. Das war ein Beweis, dass in der Förde nur
kleine Fische beißen. Wir fuhren mit der Angelausrüstung und dem Fang zu Nille
ins Haus seiner Eltern in der der De-Groot-Wohl-Straße. Die Küche befand sich
links neben dem Eingang. Wir sehen jetzt um 5 Uhr morgens schon seine Mutter in
der Küch e rumwerkeln. Sie begrüßte uns herzlich und war erfreut, als sie die
Fis che im Eimer sah, den Nille zuvor am Fahrradlenker hängen hatte.
„Mama, schau, die haben wir gerade
gefangen. Die wollen wir gleich braten.“
„Oh, da habt ihr aber Erfolg gehabt.“
Sie stellte
uns zwei Pfannen raus und stellte Bratfett bereit. Zunächst wuschen wir die
Fische, schrubbten auf einem Holzbrett die Schuppen mit einem Messer ab,
wuschen die Fische erneut und legten sie in die brutzelnde Pfanne.
Währenddessen führwerkte Nilles Mutter weiter in d er Küche. Sie sächselte
angenehm, nicht so dezidiert-formalistisch wie die Polit-Typen, die manchmal im
Fernsehen gezeigt wurden.
Plötzlich
bekam sie wieder ihren Rappel. Nille hatte mich davor gew arnt. Sie hatte als
13-jähriges Mädchen die Bombenanschläge auf Dresden in Luftschutzkellern
überlebt und war nach 45 Jahren immer noc h schwer traumatisiert. Das kam
regelmäßig in flashbackähnlichen Momenten hoch.
„Und als wir zusammengekauert im Keller
saßen, hörten wir das Donnern der Bomben immer näher kommen. Es wurde immer
lauter und irgendwann hatte es nur noch gedonnert. Wir saßen im Keller und
haben gewimmert.“
„Oh, das ist aber schrecklich.“
„Und dann dachten wir, es sei vorbei, da
hörten wir wieder das Brum men der Motoren in der Luft. Wir wollten gerade den
Luftschutzkeller verlassen, wo wir schon seit Stunden saßen. Und dann fing es
wieder an zu donnern, diesmal noch schlimmer als zuvor.“
Nille sagte
noch
„Das hat meine Mutter fast täglich.“
Sie war jetzt
in der Küche schon wieder in Panik und den Tränen nah. Nille ging kurz raus.
Als sie sich anscheinend wieder gefasst hatte, w ar es einen Augenblick still
in der Küche und nur das Bruzzeln der Pfannen zu hören. Danach fing sie
wieder an.
„Und dann kamen wieder Bomber und haben
noch mehr Bomben abgeworfen. Wir hatten schon mit dem Leben abgeschlossen, und
es be bte und donnerte immer weiter. Wir beteten und wimmerten, dass wir noch
einmal lebend aus dem Keller rauskommen.“
Ich war
wirklich erschüttert von diesen Schilderungen.
Jetzt kam
Nille wieder in die Küche. Wir wendeten die Fische noch ei nmal und erkannten,
dass der Fisch servierfertig war. Als wir aßen, war die gute Frau wieder still
und ließ uns schlemmen. Wir schnackten über die unterschiedlichen Fischesstechniken,
besonders beim Butt.
Zu der Zeit
hatte sich Nille die L’Attentat LP gekauft. Es war die einzige Aufnahme einer
DDR-Band, die wir zur Verfügung hatten. Es war zw ar immer wieder die Rede
davon, dass Vinyl Boogie DDR Punk am Start hatte, Sachen wie „DDR von unten“
mit einer Seite Punk, doch viele wollten DDR-Punk nicht hören, da die Angst
bestand, es könnte Depris triggern oder zu sehr mit der Unterdrückung im
Osten konfrontieren. Da waren wir Lascheks. Vinyl plante sogar, in Ostberlin,
in Marzahn, eine Zweigstelle zu eröffnen, um Platten anzubiet en und meldete
in einer der Listen Mitte der 80er Vollzug. Doch so ganz konnten wir das nicht
glauben, denn es klang einfach zu phantastisch.
Wir, die von
MDC ordentlich einen mitbekommen hatten, hörten jetzt L’Attentat. Wir
verstanden Worte und Phrasen, die eine westdeutsch e Punkband wohl kaum so
formuliert hatte. Wir hörten gefasst und mit Vorsicht. L’Attentat aus Leipzig
zogen wir uns rein aus purer Neugier de. Die LP Made in GDR entstand bereits in
der Endphase der DDR, a ls noch niemand mit dem Kollaps des Systems rechnete.
Es hieß, dass die Aufnahmen auf Tape aus der DDR in den Westen geschmuggelt
wurden. In Westdeutschland wurden sie schließlich auf Vinyl gepresst und
vertrieben. Ich zog mir die L’Attentat auf Tape und studierte Cove r und
Innencover.
Das Thema
Punk in der DDR interessierte sogar Nilles Mutter, die als gebürtige
Dresdnerin erfreut war, dass da mal etwas aus dem Osten k am, auch wenn sie
für Punk zu alt war. Sie tolerierte Punk, nicht zuletz t, weil sie bei DDR
Punk einen Zusammenhang mit der Kirche sah.
Um es kurz zu
machen, die L’Attentat LP war bei uns kein Dauerbrenn er. Dafür entsprach sie
zu wenig unseren Punk-Standards der hochproduzierten Exploited und
Discharge-Highttech-LP-Studioproduktionen.
Stattdessen
war die LP ein anregender Einblick in die DDR-Szene und ein politischer
Denkzettel. Jeder Songtitel bekam deshalb eine beso ndere Bedeutung, weil du
wusstest, dass er in der DDR entstanden wa r und im Westen allenfalls
studiotechnisch nachgebessert wurde. Trotzdem alle Achtung für den Mut, die
Leistung und das Punkrockdokument für die Nachwelt.
Ich hatte die
LP ein paar Wochen bei mir liegen, hörte sie, tapte sie , studierte Cover,
Innencover und die Textbelage. Ich war da immer noch an der gymnasialen
Oberstufe der Gesamtschule. Es war eher eine Punkplatte, über die du sprichst,
die lobend erwähnt wird, anstatt sie regelmäßig zu hören.
Das JUDGE DREAD Konzert
in der Aten TU Mensa
ch wohnte
gerade ein paar Wochen in Berlin, als 1991 das Judge Dread Konzi in der Alten
TU Mensa stattfinden sollte. Ich entdeckte auf dem Uni Campus ein Plakat, auf
dem der schottische Sex’n’Oi!‘Reggae Star Judge Dread angekündigt wurde. Da
lechzte ich vor Freude und b ehielt den Termin im Auge. Ich kannte Judge Dread
seit dem 4. Oi-Sampler “Oi! That’s yer Lot“, auf dem er mit dem Stück “The
Belle Of S nodland Town“ vertreten war. Judge Dread war einer der sexistischste
n Musiker der Rockgeschichte. Allerdings verpackte er seinen Sexismu s mit viel
Humor und feiner Ironie, sodass es benevolenter Sexismus war und keineswegs der
schädliche, hostile Sexismus. Judge Dread ließ sich gut mit dem norddeutschen
Witzeerzähler Fips Assmussen vergleichen, dessen schlüpfrige Witze zwar
schockieren konnten („Ich war mal Nutte in Venedig“), jedoch immer noch als
Sexualaufklärung verstan den werden konnten.
Auf dem
Konzert war Frauenüberschuss, zumeist junge Studentinnen, Anfang 20, lange
offene Haare, Jeans, jedoch wider Erwarten keine Szenefrauen oder Rude Girls.
Hier waren weder die Skinhead-Szene, noch SKA-Leute und auch nicht überhaupt
irgendein Punk. Als war das Konzert wirklich exklusiv für Studierende oder
Erstsemester. Deshalb vermittelte das Konzert in der Alten TU Mensa eher die
Atmosphäre ei ne Schulfestes.
Ich sah auf
dem Konzert echt normal aus, halblange Haare, Docs, Jea ns und T-Shirt. Krass
war der Refrain "It's six o'clock, up with the cock" , bei dem er ein
Gummi-Hähnchen wie Peter von Peter & The Test Tube Babies zeigte. Bei
diesem und anderen Liedern kicherten viele Frauen, da sie die Doppeldeutigkeit
in den Songtexten verstanden. Die zwei Lesarten waren den meisten klar. Auf dem
Konzert eskalierte nichts. Alle standen herum, glotzten und wippten ein wenig mit.
Ich kannte
Judge Dread vor allem von Feldmann und dem Acer. Auf dem Ansgar Spielplatz
hatten wir häufig über Judge Dread diskutiert und Refrains und Textzeilen
zitiert. Besonders der langsame, sanfte, erz ählende Sprechgesang abwechselnd
mit einprägsamen Hintergrundges ängen und prägnanten Melodien machten den
Hitcharakter des Musik ers aus. Doch der Mann war wirklich versaut, sexistisch
und alkoholve rherrlichend. Dennoch besaß er Kultstatus, obwohl oder vielleicht
soga r weil Judge Dread der Musiker war, der für seine Songs vom BBC und
anderen Sendern weltweit die meisten Sendeverbote ausgesprochenen bekam und
deshalb im Guinness Buch der Rekorde stand.
Blutspritzer an der
Gitarre
Wenn er nicht gestorben ist, spielt er sich die Finger immer
noch blutig.
n Tøles
Gitarre waren ständig Blutspritzer zu sehen. Wenn er Songs wie „Deutsche Fette
Kuh“ von Jürgen Zeltinger auf seiner Klampfe spielte, schlug er die
Gitarrenseiten ohne Plektron mit den Fingern derm aßen hart an, dass er sich
die Haut neben den Fingernägeln einriss un d früher oder später anfing zu
bluten. Das störte ihn nicht. Er spielte e infach weiter und ließ sich nichts
anmerken, hielt trotz starker Schmer zen sogar den Tonus der Stimme aufrecht.
Wenn Leute mit ihm im Zimmer saßen, auf einem Punk-Sit-in oder einer Party, so
war es ihm egal, wenn das Blut spritzte, und er spielte in gewohnt aggressiver
Weise, bis die Finger und die Gitarre wirklich blutig aussahen. Irgendwann
wurde er darauf hingewiesen:
„Ey, deine Gitarre ist blutig!“
Tøle
antwortete nicht darauf, denn beim Gitarrespielen war er wie e in Autist. Das
Blut wurde schließlich zur Kruste, die Blutspritzer vergil bten, wurden braun
und pissgelb.
Seine Bloody
Gitarre war nicht besonders wertvoll. Er hatte ja früher in der Teenagerzeit
von mir bei einem Tauschgeschäft eine E-Gitarre bekommen. Ich weiß nicht, was
aus dieser E-Gitarre geworden ist.
Tøle kreierte
durch sein Geschrammel einen eigenen Stil. Andere m achten es ihm nach, bis es
als positives Zeichen galt, wenn beim Gitar respielen Blut floss, auch wenn nur
in Maßen. Auch meine hellbraune Akustikgitarre, die ich von meinen Eltern zu
Weihnachten geschenkt bekommen hatte, zeigte bald die ersten Blutflecken, die
jedoch mit der Zeit ebenfalls an Intensität verloren und auf dem Holz
irgendwann ockergelb wirkten.
Die Finger
konnten sogar bluten, wenn ein Plektron benutzt wurde, wenn es falsch oder
umständlich gehalten wurde. Egal ob an den Saiten einer E-Gitarre, einer
Western- oder sogar Nylongitarre, du konntest dir überall die Haut aufratschen
und längst verheilte Wunden wieder auf reißen. Die Gewalt war entscheidend.
Doch bei Tøle
war es wirklich krass. Er ließ sich nichts anmerken, wenn das erste Blut
austrat, spielte einfach immer weiter und verzog kein e Miene. Als die ersten
Hinweise kamen wie
„Du blutest“
oder
„Da ist Blut an der Gitarre!“
schien er
innerlich zu lächeln und spielte trotzdem weiter, ohne die Miene zu verziehen.
Er ließ nur
ungern Gäste an seine blutige Gitarre. Nüchtern ekelten sich ohnehin die
meisten, die sonst jede Klampfe sofort in die Hand ge nommen hätten.
Bald zog Tøle
von der Wik nach Gaarden in die Kirkestraße. Er wohnte hier fortan in einer
Zweier-WG mit einem ehemaligen Schilkseer. Ich besuchte die WG ein paar Mal,
nutzte die Gelegenheit, um mit dem Fahrrad von Friedrichsort nach Gaarden zu
fahren.
Ich wunderte
mich immer wieder über
Tøles Musikgeschmack und fragte mich, wo er seine Platten herzauberte. Dazu gehö rten Bands w ie Marginal Man, Attak,
F.U.’s, The Easter, Dag Nasty, Uniform Choice und Mega City Four. Auch Tøle verkaufte seine
Punk-Perlen, als er in Geldnot war. Das ü bliche Syndrom, das fast jeder Punk mal durchlebte. Geldnot
war dafür verantwortlich. Jetzt waren seine Punk-Platten weg, obwohl er bisher
nichts anderes als Punk hörte. Tøle hörte auch nac h wie vor Punk, denn er
hatte noch Punk-Tapes liegen. Nachdem er so gar die Landspeed Records von
Hüsker Dü veräußert hatte, besorgte er sich die Scheibe später erneut.
Das
Arbeitsamt steckte mich eines Tages in eine Arbeitsbeschaffungs maßnahme. Das
war in veralteten Büroräumen in der Nähe der Spitze der Kieler Förde auf
dem Ostufer. Da traf ich plötzlich Tøle wieder. Wir saßen zusammen mit rund 30
arbeitslosen Kielern in den Büros und h atten nicht den Eindruck, dass
irgendwer uns beruflich weiterhelfen w ollte. Ganz im Gegenteil. Als Tøle
schließlich eine große Fliege an der Decke sitzen sah, behauptete er
felsenfest, das sei eine Kamera, mit der w ir ausspioniert werden sollten.
Dermaßen groß war das Misstrauen.
Manchmal
erweckte er den Eindruck, er sei eine Art Minus-Punk. D och dafür war er
insgesamt zu gutmütig. Was Tøle auf seiner Gitarre s o spielte war im Prinzip
der pure Terror, und es gefiel nur seinesgleichen. Wir hatten Angst, dass er
sich eine Blutvergiftung zuziehen könnt e. Sogar das Thema Aids kam auf, wenn
die blutverschmierte Gitarre am späten Abend auf einer fortgeschrittenen Party
doch noch die Rund e machte. Denn im Suff wollten die anderen Punks und Pseudos
mal d ie Klampfe in die Hand nehmen, um zu zeigen, was sie drauf hatten.
Trotzdem konnte niemand so konsequent singen wie Tøle. Er wirkte wi e ein
versteinerter Protestsänger.
Da Tøles
Gitarrespiel ohne Plektron Schule machte, und alle ohnehin schnellen Punk und
Hardcore bevorzugten – selbst mit der Akustikgitarre – ob nun Westerngitarre
mit ausschließlich Stahlsaiten oder Aku stik mit drei Nylonsaiten. So konnte es
passieren, dass andere, Tøles Stil imitierend, auf der Gitarre herumhackten,
mit Fingern, Fingernägeln , Fingerkuppen, Handballen, Faust und
Mittelhandknochen oder sogar ergänzend mit Pfennigstücken als Plektron. Jetzt
konnten auch bei den anderen Gästen die Finger anfangen zu bluten, bis die
Gitarre das Blut mehrerer Punks auf dem Korpus trug, auf dem Gitarrenhals und
auf d en Saiten. Im Extremfall wurde die Gitarrensession zum Blutbad, erzeugt
von blutigen Fingern und einer überharten und unreflektierten Spielweise und
Anschlagtechnik. Von Fingerpicking war da keine Spur, was jeder anständige
Gitarrenlehrer gefordert hätte. Der hätte wohlmöglich durch Wegnahme der
Gitarre das Inferno unterbrochen oder laut „ Halt!“ oder „Stop!“ gerufen, denn
all das hatte ohnehin nichts mit woh lklingender Gitarrenmusik zu tun im Sinne
des Rechtschaffenden Gita rrenlehrers. Es war Punkrock pur auf der
Akustikgitarre, auch wenn im Hintergrund schon wieder Hüsker Dü lief.
Brief an einen toten
PUNK
Du warst der
beliebteste Punk der Stadt, allerdings auch einer der kaputtesten. Du hattest
schwarzen und entlarvenden Humor und deshalb szeneübergreifend viele Freunde.
Du hattest eine super Plattensammlung. Deine Devise war “Live fast, die young“.
Dementsprechend warst Du schon mit 24 tot. Der Stapel an Punk-Singles in deinem
Zimmer war wirklich das beste an Punk, was international auf dem Markt
erhältlich war. Deine Lieblingsband hieß war Mayhem, und Du hattest Dir den
Bandnamen auch auf den Rücken der Lederjacke geschrieben.
Selbst ein
Punk wie Du wollte nicht frühzeitig sterben. Dafür liebtest Du Punk, das
Leben und den Spaß zu sehr. Du liebtest aber genauso die Selbstzerstörung, und
darin bestand der Widerspruch und die Gefahr. Dein Hass auf Rocker und
Motorradfahrer war, fast ebenso groß wie Dein Hass auf die Polizei. Deshalb
hattest Du nicht nur Freunde, sondern auch Feinde. Ebenso war Deine Abneigung
gegenüber allen Uniformträgern sehr groß. Du warst sehr tolerant. Sogar, als
ich Skinhead war , unterhieltest Du Dich noch mit mir und gabst mir sogar
Plattentipps.
– R.I.P. –
Die SICHERHEITSNADEL
ch nahm die
Sicherheitsnadel aus der kleinen Schatulle, hielt sie fast auf Augenhöhe und
überlegte, ob ich mir das wirklich antun sollte. Ich stellte die Schatulle
zurück, ging zum Spiegel, wo ich die mittelgroße Sicherheitsnadel öffnete.
Ich suchte mir eine Stelle an meinem linken Ohrläppchen, die noch frei war und
setzte dort die nadelförmige Spitze an. Das Ohrläppchen zog ich weit nach
vorne, hielt es mit Zeigefinger und Daumen fest und stach mit der Sicherheitsnadel
zu. Ein Schmerz d urchfuhr mich. Ich drückte weiter, bis das Ende der Nadel
allmählich auf der Rückseite des Ohrläppchens hervorkam. Ich musste mich
etwas sammeln, da es diesmal sehr schmerzhaft war, und drückte die Nadel jetzt
noch so weit in das Ohrläppchen, bis die Hälfte der Nadel durch war. Das
musste reichen. Ich klappte die Sicherheitsnadel zusammen, so dass sie am
Verschluss einhakte. Es war absehbar, dass sich mein neuer Ohrschmuck früher
oder später entzünden würde. So what!
Brief an einen Neo-Nazi
ie ich
erfahren habe, lebst Du jetzt in Dresden und hast eine eigene Security-Firma
aufgebaut. Das stört mich ein wenig, da Du bereits in d er Schule rechtsextrem
warst und andere zu indoktrinieren versucht hast. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass Du Dich von Deinen rechtsradikalen Überzeugungen abgewendet
hast, zumal ich nichts Anderslauten des gehört habe. Ich bin mir sicher, dass
Deine Security-Firma nur Mittel zum Zweck ist, um Deinen rechtsradikalen
Schaden weiter auszuleben, neue Kontakte zu knüpfen und andere systematisch zu
indoktrinieren. Ich kann Dich nur warnen, Deine Nazi-Spielchen weiterzuspielen
und Menschen für die rechte Szene zu rekrutieren. Du warst zu Schulzeiten
schon Mitglied der Wiking-Jugend und Schriftführer im Bund Heimattreuer
Jugend. Du hast damals schon versucht, mehrere Deiner Mitschüler zu
Nazi-Veranstaltungen mitzuschnacken, und es ist Dir in einigen Fällen
gelungen, wie sich immer klarer herausstellt. Auch mich hast Du damals gepiesackt.
Ich bin standhaft geblieben. Doch das ging auf Kosten meiner schulischen
Leistungen. Ich kann Dir nur sagen, hör a uf mit Deinen rechtsradikalen
Marotten, sonst musst Du die Konsequenzen tragen. Entweder wird die Polizei
Dich entlarven, oder die Antifa wird nachhelfen müssen. Die Antifa hat Dich
ohnehin längst auf dem Kieker, denn sie haben Dich in einem öffentlich
zugänglichen Bericht er wähnt, der die Strukturen der inzwischen verbotenen
Wikingjugend und BHJ analysiert. Ich hatte zudem im Netz ein Interview in einer
renomierten ostdeutschen Regionalzeitung gelesen, das ein Journalist mit Dir
geführt hat. Da schrillten bei mir alle Alarmglocken. In dem Interview spielst
Du Dich auf wie ein Sicherheitsberater und Großunternehmer der Branche, was Du
wahrscheinlich sogar bist. Der Text wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet,
und es bleibt unklar, wie groß und einflussreich Dein Sicherheitsunternehmen
mittlerweile ist und welche Dimension Dein Agieren inzwischen erreicht hat. Als
ich gelesen habe, dass Deine Sicherheitsfirma Bundeswehrliegenschaften bewacht
und als Privatfirma scharfe Waffen tragen und einsetzen darf, bin ich fast aus
den Wolken gefallen. Seitdem besteht der Verdacht, dass Du versuchst einen
neuen Nazi-Sicherheitsapparat aufzubauen. Inzwischen ist das Interview aus dem
Netz verschwunden, was ebenfalls Fragen aufwirft. Ich kann Dich deshalb nur
noch einmal zur Mäßigung aufrufen. Am liebsten wäre es mir, wenn Du ganz aus
diesem Business verschwinden würdest . Also, hör auf mit dem Dreck, sonst
knallt es. Wenn Du Dich jedoch aus den Nazi-Kreisen herausgelöst hast, so ist
das zu begrüßen, auch wenn ich mir das nicht so ganz vorstellen kann. Nazis
raus!
ИМПУЛС БЕЙСБОЛ
U.K. Subs in der Traumfabrik
K. Subs
sollten in der Trauma spielen. Ich hatte die U.K. Subs noch nie live gesehen,
und mir war klar, dass ich zu dem Konzert gehen wer de. Sie sollten in der
kleinen Halle der Traumfabrik auftreten, wo sonst meist Disco-Events
stattfanden. Ich zog meine schwarze Baseballjacke an mit einer russischen
Aufschrift auf dem Rücken: ИМПУЛС БЕЙСБОЛ, was auf Englisch so viel heißt wie
IMPULSE BASEBALL. Die Jacke hat te mir während meines Studiums eine
Grufti-Frau, Tina aus Baden-W ürtemberg, geschenkt, deren Eltern in der Nachbarschaft
von Jürgen Klinsmann wohnten. Sie war schwer depressiv, da sie ihren Cousin
beim Terroranschlag von Lockerby verloren hatte. Und ich war mir zunächst
nicht sicher, ob ich die Jacke als Geschenk annehmen sollte. Doch die
Aufschrift in kyrillischen Lettern machte die Jacke zu einem unwiders tehlichem
Objekt der Begierde. Inzwischen vermute ich, dass die Jacke sogar Tinas toten
Cousin gehört haben könnte.
Ich zog die
Jacke nur selten an, da die Knöpfe oben am Kragen recht locker saßen, nicht
weil sie nicht festgenäht waren, sondern, weil die Knopflöcher zu breit
waren.
Als ich die
Konzerthalle betrat, war enttäuschend wenig los. Das hatten die UK Subs nun
wirklich nicht verdient, denn sie waren eine der groß en Punk-Kult-Bands Ende
der 70er und Anfang der 80er und sind es heute immer noch. Ich hatte alle ihre
ersten Platten, entweder auf Tape, auf LP oder auf CD. Als Vorband sollte eine
Kieler Punkband namens V-Punk spielen, die gerade ihr erstes Album
veröffentlicht hatten un d in Kiel sehr umstritten waren. Ihnen wurden
Kontakte zur Rocker- und Rotlichtszene nachgesagt, speziell zu den Hells
Angels, jedoch kein e Kontakte zur Punkszene. Weitere Hintergründe kannte ich
zu dem Zeitpunkt noch nicht. Als ich die Halle betrat, blieb ich links kurz vor
der Tanzfläche stehen. Hinter mir, wo heute das Raucherseparee steht, hatten
die U.K. Subs einen Merchstand stehen, vor allem mit T-Shirts, au ch mit einem
Camouflagen-T-Shirt mit dem gut sichtbaren Bandnamen U.K. Subs, wie gewohnt im
Military Stencil Style. Ich platzierte mich so, dass der Mann am Merchstand die
Aufschrift ИМПУЛС БЕЙСБОЛ auf meiner Baseballjacke genau vor Augen hatte und
war ganz stolz wege n der Jacke. Jetzt erkannte ich rechts von mir auf einem
kleinen Podest vor dem Tresen den Boss des Rockerclubs, der in der
Rotlichtszene dominierte. Ich bekam einen Schreck, als ich den Hünen mit
seinen lan gen blonden Haaren und ganz in Leder dort erkannte, der dastand, wie
eine Anti-Freiheitsstatue und mich keines Blickes würdigte. Neben ih m standen
ein oder zwei seiner Speichellecker. Trotzdem konnte ich m ich mit dem Gedanken
arrangieren, dass er extra hergekommen war, um die UK Subs zu sehen. Weit
gefehlt. Er sollte direkt nach der Vorba nd radikal den Saal verlassen.
Ich drehte
mich zum Merchstand und bekam einen Riesenschreck. Erst jetzt erkannte ich,
dass der Verkäufer hinter dem Tisch Charly Harper war, der Sänger der U.K.
Subs. Ich zuckte zusammen und war ganz klein mit Hut. Wenig später begann die
Vorband V-Punk. Sie spielten eine n harten uninteressanten Punk, der auch als
Heavy Metal hätte durchg ehen können, wenn er entsprechende Metal-Soli
enthalten hätte. Ich sc haute mehrmals zum Rockerpräsi, der wirklich während
des ganzen K onzertes mit dem rechten Knie rhythmisch vor und und zurück
wippte , als würde er die Rissfestigkeit der Patella testen. Er schien sich zu
freuen und kaute währenddessen pausenlos Kaugummi. Während V-Punk i hr Set
runterratterten, ohne Ansagen, ohne Stil, ohne Zwischenrufe aus dem Publikum,
traute ich mich kurz zum Merch-Stand der U.K. Subs, hinter dem immer noch
Charly Harper stand. Ich schaute mir die Angebote an, traute mich jedoch nicht,
den U.K. Subs Sänger zu grüßen oder anzusprechen. Dafür war der
Standesunterschied doch zu groß. Währ end der Vorband betrug die Anzahl der
Besucher in der kleinen Halle g erade mal 20, Tendenz geringfügig steigend.
Nachdem V-Punk ihren letzten Song gespielt hatten und direkt danach die
Gitarrenkabel abstöp selten, verließ der Rockerboss ohne zu zögern den Ort
des Geschehens wie ein Geschäftsmann, der von einem Termin zum nächsten
hetzte. Zur Überbrückung wurde langsam Punk aus der Konserve hochgefahr en.
Eine knappe halbe Stunde später betraten die U.K. Subs die Bühne. I nzwischen
hatte sich eine neue Person hinter dem Merch-Stand einge funden, wahrscheinlich
jemand aus dem V-Punk-Spektrum, während i n der Halle inzwischen fast 50
Personen eingetrudelt waren. Alle „richt igen“ Punks standen vor der Bühne auf
und an der Tanzfläche. Weiter hinten am Tresen standen die Musikfans, die
Pseudos, die zwar Punk h örten, sich jedoch nicht auf Punk stylten. Und schon
begann das Konzert mit vertrauten Songs aus der Anfangsphase des Punk. Ich
hörte alle Smash Hits der Frühphase, von Stranglehold bis C.I.D, stand noch
einen Moment beklemmt da wegen des Rockerspektakels zuvor. Irgendwann ging auch
ich auf die Tanzfläche und tanzte Disco-Pogo. Das Konzert w ar geil, die Band
poste und hätte ein Zehnfaches an Besuchern verdient gehabt. Die Metallstreben
an den Seiten der Tanzfläche nervten, als sollten sie Knochenbrüche
verursachen. Dennoch war ich befriedigt, als ich nach dem Ende die kleine
Konzerthalle verließ, zum ersten Mal die U.K. Subs live gesehen zu haben. Doch
in den folgenden Wochen und Mo naten wurde es krass. Langsam machte das
Gerücht die Runde, dass die kieler Band V-Punk rechtsradikal sei und deshalb
gemieden werden s ollte. Mir ist auch nicht bekannt, dass sie danach noch
einmal einen Auftritt hatten, aber ich wohnte zu der Zeit auch nicht in Kiel.
Bald wurde die Band offen als Nazi-Band bezeichnet, die sich ausschließlich in
Rocker- und Rotlichtkreisen aufhielt, jedoch mit Nazi-Skinheadbands auft rat.
Ich unterhielt mich noch mit mehreren Szenekundigen, die den lä dierten Ruf
von V-Punk bestätigten. Allerdings waren bei deren CD keine Texte dabei, und
in den Diskussionen wurden nie Zitate aus den Texten gebracht, die das
belegten, zumal der Gesang unartikuliert und deshalb sehr schlecht zu verstehen
war. Jedoch war die Empörung über die Band dermaßen groß, dass an den
Behauptungen keine Zweifel blieb en. Bestätigt wurde deren Ruf Faschos zu
sein, als sich herausstellte, dass die Band in Nazi-Clubs auftrat und mit
einschlägigen Nazi-Bands ko operierte. Darüber hinaus wurden
Nazi-Devotionalien auf Konzerten auf der Bühne getragen. Da tat es mir
besonders für die U.K. Subs leid, denn die Konzertveranstalter hatte sie mit
einer Nazi-Band auf die Bühne der Traumfabrik gestellt. Kaputte Welt - was
soll das?
Dauergast MEIEREI
Schicksal eines Schülers
ls Bands wie
MDC, Culture Shock, Spermbirds, Youth of Today und Lethal Aggression in der
Alten Meierei spielten, war ich noch Schüler. Das einzige, was ich in dem
Alter konnte, war saufen, randalieren und k ontra geben. Während meines Zivildienstes
habe ich wohl kein Konzert in der Alten Meierei verpasst. Über die
Jahre zog ich mir alles an Konze rten rein, was ging, Youth of Today, Sick of
It All, Lethal Aggression, Ve rbal Assault, 2Bad, Leatherface, MDC, Culture
Shock, So Much Hate, Sh anghai‘d Guts, Exploited, Noise Annoys, Ruff
Ruff and Ready, False Pro phets, No For an Answer, Spermbirds, Funeral Oration,
Attila the Stock broker, um nur einige zu nennen. Langsam schaltete sich der Kopf ein.
Es war für
mich immer sehr schwierig, in der Meierei neue Leute ke nnenzulernen. Selbst
bei den meisten Leuten, die ich aus dem Subway kannte, blieb es zumeist bei
einem kurzen Zunicken. Die meisten verhielten sich in der Meierei anders als
auf der Straße oder wo auch immer du sie trafst. Hier kamen die privaten
Hackordnungen der Alphatiere u nd Szenegänger*nnen noch stärker zum Tragen
als in Kneipen oder be im Kneipenfußball. In der Meierei war jeder transparent.
Am nächsten standen mir die Leute, die ich von Schule, Zivildienst, Punk &
Skinheadszene kannte. Dazu kamen flüchtige Discobekanntschaften, Fußballer und
Leute aus meinem Stadtteil. Doch es war viel Hass im Spiel, Rufmord, Tratsch,
Rumgeassel, Expertentum und Arroganz. Von Drogen bekamen wir nichts mit. Doch
die Gerüchteküche brodelte.
Selbst als
ich bereits in B. wohnte, nutzte ich fast jede Chance, in der Meierei Konzerte
zu besuchen, wenn ich für ein paar Tage in Kiel war. Seit ‘94 war ich sogar in
Friedrichshain polizeilich gemeldet. Ab dem Zeitpunkt wurde es weniger mit den
Meiereibesuchen. Doch das wurde immer seltener, da der Moloch B., wenn Du
eingelebt warst, einfach me hr zu bieten hatte und dich irgendwann
verschluckte. Das gewohnte Meierei-Feeling, Subkultur, Milieu, Schnack,
Umgangston und der non-p rofit Service kamen zumeist in besetzten Häusern mit
Veranstaltungss älen auf, das heißt günstiges Bier, Fußpilz auf den
Toiletten, Schrottteil ein den Gängen, halbzerfetzte Poster, Siff, Sticker,
Graffitis und Demo -Banner. Dazu gehörten Tacheles, Köpi und Supamolly.
Die Akte Conner
Kein Politikum
ir sahen
Gonnrad nie Kotzen. Trotzdem war er ziemlich kaputt, hatte aber eine Vision.
Gonnrad brachte uns immer wieder zum Staunen, zum Schweigen und zum
Verzweifeln. Er war Kieler Punk der ersten Stunde und Macher des Fanzines
Sinnvoll. Doch ‘83 wurde er Skinhead und driftete verbal nach rechts ab,
näherte sich aber keiner rechten Partei oder Organisation. Als die Kieler
Skinheadszene nach den Skinhead- Chaostagen 1984 zerschlagen wurde, landete
Gonnrad plötzlich beim Kieler Straßenclub „Mad Boys“. Das wurde erst so
richtig klar, als der ehemalige Präsi der Mad Boys sein Fotoarchiv öffnete
und einer breiten Masse zugänglich machte. Anhand der Fotos wurde klar, dass
Gonnrad d en Badge der Mad Boys auf seiner Bomberjacke trug und auf mehreren
Gruppenfotos des Straßenclubs zugegen war. Gonnrad, den alle für eine
gefürchteten Nazi-Skinhead hielten, war jetzt bei den Mad Boys, die auf
Faschos Jagd machten. Während der Endphase der Skinhead-Me etings müssen die
Mad Boys bereits Verhandlungen zu Gonnrad aufge nommen haben, dass er zu den
Mad Boys kommt. Als später die Living Deads gegründet wurde, wurde eine
ehemaliges Mitglied der Mad Boys der Präsi, der auch Interviews für
verschiedene Medien gab, auch für die Taz und die kieler Uni-Zeitung
Kassandra. Doch Gonnrad ging nahtlos von den Mad Boys zu den Living Deads
über, die immer mächt iger wurden. Da die Living Deads spätestens nach dem
Interview mit d er Kassandra-Student*nnen-Zeitung als rechtsradikal galten,
passte es sogar nicht zu sammen, dass Gonnrad von den Mad Boys zu den Living
Deads ging. Gonnrad boxte eine Zeit im Verein und war körperlich top fit. Die
Living Deads währten ebenso nicht lange, sie lösten sich nach d rei Jahren
wieder auf. Gonnrad wurde jetzt wieder Punk mit Danzig T- Shirt und legte sogar
als Dark-Wave- und Punk-DJ auf in Lokalitäten w ie dem Böll und der
Tanzdiele. Doch der Alkohol machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Er
hatte sogar das Angebot erhalten, im Doc ks an der Hamburger Reeperbahn
aufzulegen. Doch er ließ den Termin sausen. Wahrscheinlich war das zu der Zeit,
als Gonnrad bei einer Schlägerei im Lammers oder Lammerrs Eck rückwärts
durch die Fenster scheibe flog, bis er auf dem Bürgersteig in den Glascherben
lag. Mit Gonnrad konntest du immer über die neuesten Trends und Errungenscha
ften der Punk- und Skinhead-Szene sprechen. Von ihm hörte ich auch zum ersten
Mal Begriffe wie Boneheads oder Crossover. Die letzte Plat te, die Gonnrad mir
vor seinem Tod empfahl, war die „Run for your Life“ der kanadischen Band The
Creepshow.
Gonnrad
sagte: „Creepshow, Psychobilly!“
- R.I.P. –
Der SCHIEFE TURM VON
PIZZA
Nachdem mein
Cousin 1993 im Fördehotel an der Überdosis Ejtsch gestorben war, fuhren meine
Eltern mit mir sofort in den Urlaub nach Italien, um Abstand zu gewinnen. Sie
wollten, dass ich wieder Hoffnung schöpfe und etwas anderes sehe als den
Alltagstrott an der Drogenfront hierzulande. Ein Herointoter oder eine
Herointote in der Familie ist sc hon ein krasser Einschnitt, der alles
verändert. Du kannst froh sein, we nn es danach überhaupt irgendwie
weitergeht, ohne dass noch mehr k aputt geht. Die Sache ging wirklich unter die
Haut: Mein Cousin war d er erste und wohl auch hoffentlich letzte Ligaspieler
unseres Fußballve reins, der an einer Überdosis Heroin starb.
Mit dem Auto
ging es über die Alpen und nach Rimini, wo wir die m eiste Zeit verbrachten.
Wir waren gewarnt vor der Drogenszene und d em Straßenstrich an der
Strandpromenade.
Als wir in
Rimini durch die Fußgängerzone gingen, hatte meine Mutt er sich etwas
abgesetzt und ging rund 15 Meter vor uns. Sie schlenderte mit ihrer Handtasche
über die Schulter gehängt in der Mitte der breite n Einkaufsstraße. Von
hinten näherte sich ein kleines Moped, auf dem hinten ein Sozius saß. Es waren
zwei junge Männer, sommerlich geklei det, die zunächst mich und meinen Vater
im doppelten Schritttempo passierten. Danach näherten sie sich meiner Mutter,
ohne dass wir Verd acht schöpften. Die wirkten wie Fahranfänger, die sich in
eine Fußgän gerzone verirrt hatten und sich nicht trauten, durchzustarten. Wir
ahnten immer noch nicht, was kommen würde. Das Moped tuckerte langs am weiter
und schloss allmählich zu meiner Mutter auf. Sie schienen e twas zu eiern und
sich einen Jux aus dieser Schleichfahrt zu machen. Für das, was im Folgenden
passieren sollte, hatten wir einen Logenplatz. Das Moped fuhr von hinten etwas
versetzt auf meine Mutter zu, waren fast etwas zu dicht auf ihrer Spur. Plötzlich
hörten wir meine Mutter sc hreien und dem Moped ein wenig hinterher tippeln.
Sie schrie
„Hilfe, meine Handtasche!“
Was die
vielen Italiener in der Fußgängerzone sicher nicht verstehen konnten. Als ich
die Situation realisierte, zog auch ich einen Sprint an, musste jedoch
feststellen, dass ich das Moped nicht einholen konnte. Meine Mutter war baff,
aber nicht geschockt, da wir gleich bei ihr waren. Schockierend war die
Reaktion der anderen Passanten weiter vorn in der Straße. Alle verhielten sich,
als sei nichts passiert. Niemand machte Anstalten, sich dem Moped in den Weg zu
stellen oder beide von dem Z weirad zu schubsen. Wir berieten, was zu tun sei
und entschlossen uns, zum nächsten Polizeirevier zu gehen. Das Polizeirevier
befand sich in e inem Altbau ganz in der Nähe. Auf dem Revier sprach niemand
Deutsch. Ein Carabiniere, der ein paar Brocken Englisch sprach, nahm uns mit in
die Ecke der großen Halle im Parterre und nahm ein Protokoll. Jetzt saßen wir
zu dritt vor dem Tisch, an dem der Carabiniere mit einer Sch reibmaschine ein
Protokoll aufnahm. Er stellte Fragen, fand immer wie der Schlüsselwörter wie
Person, Motor, Man, Passport, Money die auch wir verstanden, und tippte die
Antworten, die er gar nicht richtig zu ver stehen schien, und erstellte ein
Protokoll auf Italienisch. Mit Worten, Händen und Füßen und Gestikulieren
verdeutlichten wir unser Anliegen . Absurder hätte es nicht sein können. Der
Carabiniere checkte, dass ein Perso in der Handtasche war, etwas Geld, ein
Schlüssel und ein paar pe rsönliche Sachen. Die Erstellung des Protokolls
wirkte pro forma, wie ein Protokoll für den Mülleimer, wie ein Placebo, um
drei Kriminalitäts opfer zu beruhigen. Die Tatzeit zeigten wir mit den Fingern
auf einem Ziffernblatt. Schließlich entließ uns der Carabiniere und gab meiner
Mutter noch die Hand. Wir hörten nie wieder etwas von den Italo-Cops.
Der weitere
Urlaub stand unter dem Eindruck des Handtaschendieb stahls. Doch wir nahmen es
mit Humor. Wir machten Station in Bolog na, wo ich mir ein Clash-Video kaufte,
“This is Video Clash“, als VHS- Kassette. Das Video sah ich im Schaufenster
eines kleinen Plattenladen s. Im Laden stand sogar eine LP der Italo-HC Band
Negazione, die aus Turin stammten und circa 1987 sogar in der Alten Meierei in
Kiel ge spielt hatte. Bologna gefiel mir ganz gut. Das Stadtzentrum war voll
mit jungen Leuten.
In Pisa ging
es auf den Schiefen Turm, der schiefer war, als erwartet. Die physikalischen
Kräfte und das Gleichgewichtsgefühl oben waren wirklich ulkig. Zwangsläufig
wurde der Turm „Schiefer Turm von Pizza“ genannt. Wir schossen Fotos mit dem
Turm als perspektivische Trickeinlage. Mal wurde eine Cola-Dose aufs Dach des
Turms gestellt, mal wurde er zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten, mal
stand er auf der flachen Hand – was du halt so machst, wenn Du dich nach einem
gravierenden Todesfall in der Familie wieder aufbauen willst.
Die Kamera
war keine Spiegelreflex. Der Bildausschnitt, der durch das Suchfenster zu sehen
war, war nicht identisch mit dem später auf dem Foto abgebildeten, das durch
die Linse aufgenommen war. Deshalb mussten wir beim Knipsen eine leichte
perspektivische Verschiebung einkalkulieren. Bei einigen Fotos trafen wir nicht
die richtige Bildausschnitt. Das sahen wir aber erst, als die Fotos später
entwickelt waren.
Wir besuchten
mehrere Museen in Pizza, äh Pisa, zumeist mit mitte lalterlicher Kunst.
Gut, wir
waren also in Rimini, wir waren in Pisa, wir waren in Bologna. Schlussendlich
wollten wir nach Florenz. Auf dem nächsten Schild stand Firenze.
„Jetzt muss als nächstes laut Plan die
Ausfahrt Florenz kommen."
„Aber guck ma, die Stadt da rechts ist
auch ganz hübsch mit Kirchen und so."
„Das ist Firenze. Fahr bitte weiter wir
wollen doch nach Florenz."
Da gab mein
Alter Gas & irgendwann waren wir in den Alpen. Es gib t also weder
Bielefeld noch Florenz.
Zurück in
F*cking Kiel lud ich Kumpels zu einer Party ein. Wir sahen das New Model Army
Video, das Hüsker Dü Video, “Rude Boy“ und schlussendlich “This is Video
Clash“, alles auf dem geilen VHS Video Recorder. Die meiste Zeit schauten wir
ernsthaft zu, gaben nur manchmal Kommentare ab. Es ging also auch ohne viel
Alkohol und ohne viel Gesabbel. Der Herointote schien bald fast vergessen. Doch
die Langzeitfolgen waren nicht zu überblicken und brachen immer wieder durch.
Danach ging es Schlag auf Schlag: tot, tot, tot.
DER HEROINDEALER
KOMMT MIR ZU NAHE
Ich hatte den
ganzen Nachmittag Pfandflaschen am Falkensteiner Strand gesammelt. Jetzt wollte
ich mehrere Tüten mit Flaschen und Dosen an der Aral-Tanke Kreuzung Pries
abgeben. Die Schlange war ziemlich lang, da gerade Feierabendzeit war. Als ich
mich umdrehte, sah ich hinten in der Schlange den Heroindealer, der schon so
viele Leute auf dem Gewissen hatte, darunter meinen Cousin. Als ich ihn
erkannte, kochte in mir sofort das Blut. Ich spielte mit dem Gedanken, ihn zu
attackieren und niederzuschlagen, auch wenn damit zu rechnen war, dass er eine
Waffe bei sich trug, eine Pistole oder ein Sprungmesser, um sich gegen
renitente Kunden und andere Widersacher zu behaupten. Ich überlegte, eine
Regalwand aus dem Warenständer zu reißen und ihn damit zu rammen. Als ich kurz
davor war, zu tillen, kam zum Glück ein Jugendtrainer aus dem lokalen Fußballverein
in die Tanke, der mich aus gut 6 Metern Entfernung grüßte und freundlich
lächelte. Das beruhigte mich ein wenig.
Die Wunden
des Herointodes meines Cousins und anderer Jugendfreunde und -freundinnen waren
längst nicht verheilt, und wenn ich diesen hinterhältigen Dealer sah, musste
ich mich zügeln. Doch selten war ich ihm so nah wie hier in der Tanke. Ich gab
das Leergut ab, was be stimmt 10 Minuten dauerte. Da war der Dealer schon
längst wieder aus der Tanke verschwunden.
Ein paar Tage
später sprach mich ein niedergelassener Arzt und Chirurg auf offener Straße
an. Er unterhielt sich ein paar Minuten mit mir und schüttete mir sein Herz
aus. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Dr. Meißnitz erzählte von
besagtem Heroin-Dealer, dass ein Ersuchen vorlag, ihn auszuweisen, weil er
immer wieder beim Dealen erwischt oder angezeigt wurde. Der Dealer schaffte es,
über einen Anwalt un d ein ärztliches Gutachten eine Ausweisung abzuwenden.
Angeblich ko nnte er mit seinem gesundheitlichen Leiden nur hierzulande
behandelt werden. Ich verstand nicht, weshalb der Arzt das ausgerechnet mir
erzählte. Der gute Mann kann nur gewusst haben, dass mein Cousin am Her oin
dieses Dealers gestorben war. Dem Dealer ging es vor allem ums Ge ld, um Macht
über seine Kunden und Kundinnen – vor allem junge Fra uen. Er war ein paar
Jahre im lokalen Rüstungskonzern beschäftigt und versuchte jetzt, den
Stadtteil durch sein Gedeale zu schädigen. Das war schon ein ziemlicher
Zwiespalt, zumal die meisten seiner Kunden behaupteten, mit ihm zufrieden zu
sein und ihn mochten - Dealerliebe halt.
Der
Heroindealer trug später ein blondes Toupet trotz seiner dunkle n Haare. Erst
war er in der kleinen Spielhalle beschäftigt, die zum Imb iss gehörte.
Später half er in der Moschee und dem integrierten Lebensmittelmarkt über dem
SK-Markt aus, wenn es darum ging, zu werkeln und Hausmeisterarbeiten zu
erledigen. Er sammelte Geld für einen Islamverein. Es kam die Befürchtung
auf, dass er für die PKK sammelte oder sogar für eine Terrororganisation Geld
aufbrachte.
Über die
Jahre war es eine ganze Menge an Drogentoten, die er zu verantworten hatte,
entweder, weil er sie anfixte, oder weil sie an seinem Zeug starben. Ich konnte
an dem Menschen nichts Positives finden. Die angefixten jungen Frauen liebten
ihn. Es war ein Dilemma, und die son st so eifrigen Cops blieben trotz der
Hinweise und Anzeigen passiv – ge nauso wie beim lokalen Pfadfinderskandal. Das
erzeugt wieder dies Oh nmachtsgefühl. Wartet die Polizei, bis sich auch dieser
Fall von selbst erledigt? Gierten sie auf ein horrormäßiges Showdown mit
Toten? Sollte „die Straße“ oder irgendein Rächer die Sache übernehmen? Werden
die Rocker wieder zuschlagen und ein weiteres Opfer in Zement gießen?
MEIN ERSTES RICHTIGES
EXPLOITED T- SHIRT
Je älter ich
wurde, desto stärker wuchs in mir der Wunsch, mir ein Exploited T-Shirt zu
kaufen. Ich hatte diese schottische Punkband zwar immer noch nicht live
gesehen, doch das war nur eine Frage der Zeit. Ich wusste, wer ein Exploited
T-Shirt in der Öffentlichkeit trägt, hat mit grenzwertigen Sprüchen zu
kämpfen. Deshalb ist ein Exploited-Shirt immer gut für Socializing und Leute
kennenlernen, es sei denn, dass die Sprüche einfach zu platt sind. T-Shirt
Peter in der Holstenstraße führte leider keine Exploited-T-Shirts. Eines
Abends, es war schlechtes Wetter, machte ich spontan einen Spaziergang über
den Jahrmarkt auf dem Willy. Ich wollte nur eine Runde drehen, nichts kaufen,
aber gucken, um danach kurz zum Supermarkt zu gehen und fragen, ob der Pfan
dautomat wieder funktionierte, denn ich hatte noch eine Holsten-Kiste mit
Leergut stehen, das ich im Park gesammelt hatte. Als ich jetzt über den teils
matschigen Jahrmarkt ging, war wenig los, ich schaute nach Lebkuchenherzen mit
Vereinsnamen darauf. Fehlanzeige. Ich sah Autoscooter, ein Riesenrad,
Luftgewehrbuden, Losbuden mit Mikrofondurc hsagen, ein Glaslabyrinth für die
ganze Familie, Armbrustschießen, Dosenwerfen, Ballschießen von einem fixierten
Katapult, Imbissbuden, roch sich überschneidende Senf- und Würstchengerüche,
sah Lebkuchen herzen in unterschiedlichen Größen, Zuckerstangen und andere
Süßig keiten, zwei ungefährliche Kinderkarussells, mehrere Bierstände, einen
Bayernzelt-Style Holzverschlag mit Sitznischen neben dem Toilettenwagen, eine
Toilettenfrau, die gerade die Schicht begann und die große rote Kasse vom
Bayernzelt-Style Holzverschlag nebenan holte, mehrere undefinierbare
Erlebnisparkours, eine hammerförmige Riesenschaukel, Halligalli-Style Bahnen,
ein paar Gaffer vor den Ständen mit Blick zu den Besucher. Die Gaffer waren
wohl Schausteller. Ich sah ein Pulk Se curity, ein Boxautomat mit Kraftmessung,
Crêpes-Stände, Mandelverk äufer und vieles mehr. Plötzlich kam ich bei
einem Klamotten und T-Shirt-Verkäufer vorbei. Ich sah ein paar Band-T-Shirts,
Judas Priest, AC/DC, Wolfsköpfe, ein Bruce Lee T-Shirt, unzählige
Totenkopfmotive und vieles mehr. Spontan fragte ich, ob der ein Exploited
T-Shirt hat. Er sagte
„Moment“
holte ein
T-Shirt hervor und breitete es mit einem sc hwungvollen Wurf vor mir auf dem
mit T-Shirts vollgelegten Verkauf stisch aus. Ich sah schon ein großes gelbes
Schild weiter links liegen mit der Aufschrift 20€. Doch er sagte sofort
„Fünfzehn Euro.“
Ich schaute
das T-Shirt an. Es war das Motiv der “Beat The Bastards LP“, jedoch qualitativ
merkwürdig. Ich sah gleich, dass der Stoff sehr dünn war. Als ich es
anfasste, sagte ich
„Der Stoff ist aber sehr dünn. Zwölf
Euro würde ich dafür ausgeben.“
Da sagte der
asiatisch oder indisch wirkende Verkäufer
„Das ist zwar dünn, aber die
Gewinnspanne ist niedrig.“
Ich
überlegte gar nicht, sagte
„Ok, ich wollte immer schon mal ein
Exploited-T- Shirt haben. Ich nehme es.“
Da holte der
Verkäufer eine hauchdünne d urchsichtige Tüte hervor mit einem Smiley und
dem Wort Danke darauf und gab mir darin das T-Shirt. Mit gemischten Gefühlen
ging ich, d enn es war vom Stoff halt sehr dünn. Ich ging an der nächsten
Halligalli-Style Bahn vorbei, an der mehrere blutjunge Frauen mit offenen Ha
aren standen, Blazern und Jeans. Ich ging nach links um die Ecke, ging an einem
Crêpes-Stand vorbei. Dahinter befand sich zu meinem Entse tzen ein weiterer
T-Shirt Verkäufer, dessen T-Shirts qualitativ hochwe rtiger aussahen. Ich
blieb stehen, trat ein paar Schritte weiter an den St and heran und ahnte
schon, was kommen würde. Ich blickte nach links und, siehe da, da hing ein
Exploited T-Shirt, so wie ich es immer schon haben wollte. Mit riesigen
Exploited Schriftzug und dem gewünschten Iro-Motiv. Hätte ich doch erst eine
ganze Runde über den Jahrmarkt g edreht. Da drehte ich mich um und ging
weiter. Ich verließ den Jahrmarkt, ging zum Supermarkt und dort direkt zur
Kasse und fragte
„Ist der Pfandautomat wieder
freigegeben?“
„Ja, der ist freigegeben.“
Da ging ich
nach Hause, um das Leergut zu holen. Doch zu Hause angekommen, wollte ich erst
das Exploited T-Shirt anziehen. Ich nahm das zusammengelegte T-Shirt aus der
Tüte, hielt es oben mit beiden Händen fest und ließ es sich nach unten
ausklappen. Da bekam ich ein Hochgefühl, de nn ich erkannte, dass nicht nur
die Vorderseite, sondern auch die Rück seite beflockt war. Das bescherte mir
ungeahnte Glücksgefühle. Währe nd die Vorderseite farbig war, vor allem
gelb-orange, war die Rückseite schwarz-weiß, ebenso mit Iro im Seitenprofil.
Ihr könnt euch nicht vor stellen, wie glücklich ich über den Kauf war. Ich
stellte mir gleich den Iro hoch und schoss vor dem Spiegel ein Foto. Jetzt
fehlt nur noch rote Directions Farbe für den Iro. Ich warte jetzt auf den
ersten grenzwertig en Spruch wegen des T-Shirts und freue mich darauf - und vor
allem auf das nächste Exploited Konzert hier bei uns im Norden. Das ist die
Geschichte von meinem ersten richtigen Exploited T-Shirt.
EXPLOITED TRAUM
(Fake
Tourette beim Exploited-Konzi)
Im Esso 36
sollten Exploited spielen. Zum Glück hatte ich einen Kumpel dabei, der schon
in der U-Bahn allen gleich erklärt hat, wenn ich a nfing, die Leute zu
beleidigen, dass ich das Tourette Syndrom habe. Es waren wirklich krass
brenzliche Situationen dabei, in denen Schläger schon mit geballten Fäusten
auf mich zueilten, um mich zu bremsen , und mein Kumpel rief
„Er kann nichts dafür, der hat das
Tourette Syndrom".
Das half
immer, und die Leute waren besänftigt. Es glaubte wirklich jeder, dass ich
Tourette habe. Auch wenn es unterste Schublade war mit
„Du Wi*hser, Alter, A*schkopf, Fi*ker,
sche*ß Assi, Fresse od er was, du Mongo!“
Viele Leute
schauten recht bekümmert, auch jüngere Leute und beson ders Frauen. Doch
einige fühlten sich wirklich angegriffen und wollten die Kaskade an
Schimpfwörtern unterbinden. Auch nach dem Umsteig en in eine andere U-Bahn
schrie ich:
„Sche*ße P*mmel, du Sche*ße P* mmel,
A*sch, K*tzer, W*chsgesicht, W*chs-W*chser, Flasche, P*sser, P *ssgesicht“.
Extrem
problematisch war das bei Fahrkartenkontrollen oder wenn wir mit den Cops
konfrontiert waren. Denn dort drohte die Gefahr, dass die Beleidigungen für
bare Münze genommen wurden, wenn es hieß:
„Sche*ßer, Wa*ker, W*chser, A*sch,
P*mmel, Affe, Linksw* chser, Schnellspr*tzer, V*tzenkopf, B*stard, Knallkopf,
was willst Du? P *ssarsch. K*ckk*cker. Sche*ßsche*ßersack.“
Es wurde also
eine gefährli che Tour zum Esso 36. Als plötzlich Kontros einstiegen, stockte
meine m Kumpel gleich der Atem, denn ich schrie den Kontros entgegen:
„Ihr W*chsköppe, Sche*ßgesichter,
Headbänger, Pack, F*cker, A*sch, Null , du Null, Mongo, P*sser, Kotl*cker,
Fu*ker, ihr H*rensöhne, s*k de lan , anna na s*ki! Ihr Hohlköppe.“
Die Kontros
kümmerten sich gar nicht erst um andere Fahrgäste, sondern kamen direkt zu
uns, da sie sich nicht beleidigen lassen wollte. Da schrie ich wieder
„Puta, Sche*ßer, ihr Sche*ßw*chspackp*mmel.“
„Stop !“
schrie mein
Kumpel.
„Lassen sie ihn in Ruhe, der hat das
Tourette Syndrom.“
Da verharrten
die Kontros und schauten mich mit großen A ugen an. Als ich weiter schrie
„Ä*sche, A*sch, A*schkopf, Du Maske, Ka
*ka*sch, Du Barschel, Sche*ße, Ka*ke, P*sse, ihr alten Ka*ker, P*mmelköpfe“,
drehten sie
sich um und fingen an, die anderen Fahrgäste im U- Bahnwagon zu kontrollieren
und schlussendlich auch uns. Da schallte e s wieder aus meinem Munde:
„Fi*ker, A*sch, Du Sack, Dummkopf, Lu
ts*her, Luuuts*her, Ka*kp*mmel, Lusche, ihr Lascheks“. Gesenkten Hauptes
verließen die Kontros die U-Bahn. Wir genossen das richtig. Eine Station
später am Cotti stiegen auch wir aus. Jetzt gingen wir zielstrebig auf dem
direkten Weg weiter zum Esso 36 in der Oranienstraße zum Exploited-Konzert. Als
wir an einer Ampel standen, brach es wieder au s mir heraus. Auslöser war eine
Nobelkarosse, die mit heruntergelassenen Fenstern bei lauter Musik an der Ampel
stand. Die hinteren Scheiben waren nahezu schwarz und von außen undurchsichtig.
Ich schrie
„A *schgeige, F*tzenkopf, Hur*nsohn,
Kackgesicht, du P*mmel, Schwe*ne kopf!“
Er konnte nur
meine Lippenbewegungen sehen, grinste und gab Gas. Wie der Zufall es wollte
kamen in dem Moment die Bullen vorbei und bekamen die restlichen Pöbeleien
mit. Jetzt machten die Cops ein en U-Turn und fuhren langsam an uns vorbei, um
sich zu erkundigen, was los sei. Da sprudelte es wieder aus mir hervor:
„Bullenschwe*ne, Ä*sche, ihr
Schergenschwe*ne, P*ssköpfe, Schwe*ne bull*n, Hur*nsöhne, ihr Sche*ßbull*n,
ihr Nullen, Schwe*neköpfe, Idi oten!“
Da sagte der
eine Bulle
„Das ist wieder der Punk mit dem Tourette
Syndrom. Leg dich bloß nicht mit dem an, der hat einen Freifahrtschein. Fahr
bloß weiter.“
Da gaben die
Cops Gas und brausten davon.
Jetzt konnten
wir unseren Weg zum Exploited-Konzi endlich fortsetzen. Mein Kumpel zog mich
weiter bis wir auf der Oranienstraße waren, wo wir nur noch ein paar Hundert
Meter geradeaus mussten.
Vor einem der Cafés standen mehrere verchromte amerikanische Mot orräder.
Rocker mit Kutten standen und saßen vor dem Café. Als ich d ie Rocker
bemerkte, schrie ich
„Ihr Rockerschwe*ne! V*tzenköpfe, ihr
Schw*lis, Schw*liberts, ihr M*senkoppe, Fi*kfrösche, Fettsäcke, Schwa
*zluts*her, Schwu*köpfe, W*chser, ihr Ko*zbrocken, A*schgesichter, S chweine.“
Die Rocker
sahen verdutzt zu mir rüber. Ich schrie weiter
„Ihr fetten Schwe*ne, Ka*kstelzen!“
Da stand der
Oberrocker mit geballten Fäusten auf und schrie
„Willst Du unseren Club beleidigen?“
Mein Kumpel
sagte wieder
„Der tut nichts, der hat das Tourette
Syndrom!“
„Dann bring ihn weg hier!“
schrie einer
der Rocker. Da brach es erst so richtig aus mir hervor, und ich schrie
„Ihr Hur*nsöhne, A*schgeigen , Knallköpfe!“
Da griff mein
Kumpel mich am Oberarm und zog mich weg vom Ort des Geschehens.
Als wir
schlussendlich auf das Esso 36 zugingen, sahen wir schon die me ga
Menschentraube, viele Iros, gefärbte Haare, Nietenjacken, Nietengürtel,
Nietenarmbänder, Boots und nochmal Boots. Wir schlossen zur Traube auf. Hier
schnackten die Punks miteinander und soffen. Einer aus
dem Pulk schrie
„Exploited
... Barmy Army. Exploited ... Barmy Army . Exploited ... Barmy Army.“
Da laberte
ich schon die ersten an mit mei ner nächsten Tourette-Attacke
„Halt die Punkerklappe, Fi*ker, Punker
dreck, Schnepfe, Du Hundesche*ße, Du Hund, Ka*kstelze, Luts*her, Lu uts*ha,
P*mmellicker, ihr Fi*kfehler, Motherfu*ker, Fu*ker, Fu*ker!“
Nach kurzer
Intervention meines Kollegen wurde die Situation entschärft, und die Gemüter
beruhigten sich.
Wir stellten
uns vor den Eingang. Die Vorband sollte bald spielen. Wir hatten unsere Tickets
aus dem Vorverkauf. Jetzt mussten wir diese am Einlass vorzeigen. Während die
Kassierer unsere Tickets abnickten, ger iet ich wieder in eine
Tourette-Attacke:
„Ihr W*chser, Drecksp*sser, Sc
hwa*zp*mmelä*sche, P*sser, P*sser, P*sskopf, Sche*ßer, Ä*sche.“
„Ist schon gut, mein Kumpel hat Tourette-Syndrom!“
„Ja, so kam das auch rüber. Er muss sich
aber trotzdem im Griff haben.“ „Schwa*zlecker, Schwe*n, Schwe*ne, Sä*e.“
„Pass mal auf Deinen Kumpel auf, dass es
drinnen keinen Stress gibt.“
„Ja, ok.“
Jetzt
betraten wir den Saal des Esso 36. Die Vorband spielte schon. Wir orientierten
uns erstmal. Als wir durch die Reihen gingen, sang ein kleines Grüppchen Punks
neben uns laut
„I still believe in anarchy.“
Da musste ich
drauf reagieren und schrie
„A*schloch, du A*schloch, du A*sch,
A*schw*chser, Du W*chsa, ihr Hackfressen!“
Da zog mich
mein Kumpel weg von den Punks, denn hier im Saal bro delte es und die
Aggressionen waren offensichtlich. Wir stolperten wei ter durch den Laden. Als
nächstes gingen wir zum Tresen, um uns ein Bier zu kaufen. Der Tresenmann
signalisierte uns mit einem kurzen Nicken, dass wir unseren Getränkewunsch
mitteilen sollen. Mein Kumpel bestellte zwei Biere. Fast gleichzeitig fing ich
an, den Tresenmann und seine Kollegin zu beleidigen
„Ihr Schwe*ne, Versager, Nieten, Bauern,
Knechte, Dreck, Sche*ße, P*sse!“
Da wollte uns
der Tresenmann zunächst die zwei Biere nicht geben. Mein Kumpel musste sich
wieder für mich einsetzen, bezahlte und reichte mir ein Bier. Ich motzte noch
ein wenig.
„Schl*mpe, Idiot, Dummkopf,
Blödmusiker!“
Der
Tresenmann un d die Tresenfrau schauten uns hinterher und schüttelten die
Köpfe. Als ich 10 Minuten später auf Toilette musste, ging ich zunächst
wortlos an der Klofrau vorbei. Auf Toilette stellte ich mich an ein Urinal und
blick te auf die Sticker an den Kacheln. Wenig später stellte sich ein anderer
Punk ans Urinal daneben. Da sprudelten gleich in einem weiteren Tourette-Anfall
reihenweise böse Worte aus mir heraus
„Du sche*ß Sche* ßer, Ka*ker, P*sser,
P*mmel, Sa*k! Du Ze*ke!“
Alle Punks
auf Toilette schauten mich mit weit aufgerissenen Augen an . Niemand reagierte.
Ich beleidigte fleißig weiter, während ich einpackte und die Toilette verließ.
Bei der Klofrau angelangt war sie auf einma l Ziel meiner verbalen Attacken:
„V*tze, H*re, M*se, Sau, Mundv*tze, P
*ssnelke, Schlampe, Nu*te, alte Kuhv*tze.“
Die Klofrau
schaute mich mit aufgerissenen Augen an. Ich hielt einen Moment inne. Als die
Toilettenfrau wehrhaft ihre Arme seitlich in der Hüfte abstützte, schrie ich
weiter
„P*ssv*tze, du Z*cke, Ze*ke, Zickenz
e*ke, V*tze, du M*se, du Drecksv*tze, Putzv*tze, Anjuk, A*schv*tze, du Nudd*,
Mundv*tze, Du Sa*.“
Da kam mein
Kumpel schon herbeigeeilt und riss mich vom Ort des Geschehens weg.
„Der hat Tourette Syndrom. Bitte nichts
bei denken.“
Die Vorband
spielte ihre letzten Songs. Es gab eine Umbaupause und s chon betraten The
Exploited die Bühne. Jubel brauste auf. Der Sänger Wattie machte eine kurze
Ansage, und schon ging das Konzert los. Es k am nach wenigen Minuten schon zu
einem riesen Pogo-Mop, mit Stage Diving und Crowd-Surfing. The
Exploited spielten ihre Top Hits, "Dead Cities“, "Troops of
Tomorrow”, “Alternative”, “UK 82”, “I believe in Anarchy”, “I hate Cop Cars”
und viele weitere Smash Hits.
Sänger
Wattie gab alles. Mit seinem roten Iro war er ein wahrer Blickfang. Er schrie
ins Mikro, als gebe es kein Morgen. Die Band flippte an i hren Instrumenten
förmlich aus. An einigen Stellen wirkte es, als kotze Wattie ins Mikro, oder
als würge er ein verschlucktes Ei aus. Die Adern an seinen Schläfen stachen
hervor, als könnten sie jeden Moment platzen. Schon nach wenigen Minuten
öffneten sich seine Schweißporen, al s käme er gerade aus dem Schwimmbad. Er
tänzelte wie Muhammad A li in seinem letzten Kampf, um wenige Momente später
zu explodieren wie das World Trade Center. Allen wurde
klar: Punks Not Dead.
Jetzt schrie Wattie
„Army life is killing me me me me me me, Army l ife is
killing meee.”
Vor der
Bühne kam es immer wieder zu Streitereien. Als eine kleine Keilerei ausbrach,
versuchte Wattie verbal von der Bühne aus zu intervenieren. Da stand ich nur
wenige Meter von Wattie entfernt. Plötzlich bek am ich den nächsten Tourette
Anfall, der sich gegen den Sänger von The Exploited richtete:
„Du
Schwachp*mmel, du sche*ß p*ss Knabe, Schw *nzluts*her, alter Ka*ker, Luuuts*ha,
du Ka*ker, P*sser, A*sch, A*schf*c ker, si kerema, Yarak, Eschek! Deli domus,
sense lisse, si kerema! Puta.“
Wattie war
sehr überrascht, da er bemerkte, dass sich diese Worte gege n ihn richteten,
checkte aber, dass das auf Deutsch war, was er nicht ve rstand. Also rief er zu
mir rüber
„What are you saying?“
Ich wieder
„Du A*schloch, Ka*kstelze, Pof*cker, du
Spas*i, du Mis*ge burt!“
Wattie
kratzte sich am Kopf. Jetzt schrie ich
„You
wanker, fu*king b*s tard, ar*ehole, you c*nt, motherfu*ker, kiss my a*se,
p*sshead, bloody b*stard, son of a bit*h!”
Jetzt
verstand Wattie mich, und er wirkte arg irritiert. Er sagte noch zö gerlich
„No, I’m not!“
Da schrie mein Kumpel
”Don’t
mind what his saying. He’s got Tourett e's Syndrome!”
“That’s good!”
rief Wattie.
Die Band
sammelte sich wieder und weiter ging es mit “Fuck the USA!“ Der Laden tobte.
Wir brachten den Abend noch heil über die Runden und waren ziemlich geschafft,
als wir gegen 1 Uhr nachts den Schuppen verließen.
Auf dem
Heimweg wieder das gleiche Spielchen. Erst musste ich ko*z en. Mein Magen
beruhigte sich. Wieder beleidigte ich reihenweise Fah rgäste im U-Bahnhof und
in der U-Bahn. Mein Kumpel war froh, als e r mich sicher zu Hause abgegeben
hatte. Ich verabschiedete ihn mit ei nem gedrungenen
„Du A*schloch, W*chser, P*sser, Ka*ker,
kleiner Sc he*ßer!“
und legte
mich ins Bett.
Es war trotzdem
ein unvergesslicher Abend. Wir nahmen uns vor, dem nächst mal eine richtige
Exploited Party zu feiern, auf der wirklich nic hts anderes als Exploited
gespielt wird. Vor allem die seltenen Stücke v on den Singles A- und B-Seiten
sollten aufgelegt werden. Die Party kön nte entweder in einer Wohnung oder WG
stattfinden, in der auch laute Musik gehört werden darf, ohne dass die
Nachbarn gleich ausflippen und die f*cking Cops rufen, oder bei irgendwem im
Garten, wo die Na chbarn tolerant sind. Party im Park oder am Strand wäre auch
nice. Al lerdings sollten nur Leute eingeladen werden, bei denen klar ist, dass
s ie wissen, dass ich das Tourette Syndrom habe, die damit auch umgehen
können. Es soll gewährleistet sein, dass es deshalb keinen Streit gibt .
Rocker, die Exploited mögen, welcome.
AUSGEKUGELTES
KNIEGELENK IN DER GRUFT-DISCO
Geh Tanzen in der Tanzt-Euch-Tot-Disco !
Viele Kieler
verwechselten die Weißenburgstraße und Weißenhofstraße. Noch mehr Kieler
verwechselten das Kneipenrestaurant Pupille mit der Bazille. Der alte Kellner
der Pupille erzählte, dass die Pumpe der am stärksten von den Cops
observierte Veranstaltungsort Kiels sei. Das lag in erster Linie daran, dass
sich dort in den Räumlichkeiten das regionale Umfeld der RAF traf. Angeblich.
Neuerdings
fanden einmal pro Monat Gothic-Tanzveranstaltungen in der Pumpe statt. Dazu
wurde eigens oben im Saal das Areal links neb en der Bühne mit
Wandverkleidungen abgegrenzt, um eine überschau bare und intime
Disco-Atmosphäre zu suggerieren. Es wurden viele Goth- und Wave-Stücke
gespielt, die wir aus Discos wie Pfefferminz, DNA, Prisma, Error und Subway
kannten. Mindestens ebenso viele wichti ge Songs wurden vergessen oder
unterschlagen. Der Tanzsalon war gut besucht. Es wirkte als solle ein neues
Disco-Format etabliert werden, dass doch längst uralt war. An den Wänden des
Tanzsalons waren Stühle aufgereiht, was eher den Charme einer Schuldisco
vermittelte.
Zu der
Uhrzeit an diesem Abend war die Tanzfläche nur spärlich frequentiert. Jeder
Song forderte ein anderes Tanzklientel. Jetzt tanzte eine Frau allein auf dem
Metallparkett. Sie trug schwarze Militärboots mit silberfarbenen
Metallbeschlägen. Sie tanzte, als wären die Stiefel bleischwer, stampfte
eher, als dass sie tanzte. Teils war ein Scheppern zu hör en, wenn die
Metallbeschläge auf die Metalplatten des Dancefloors klac kerten. Es schien
der Gruftfrau richtig Spaß zu bringen. Die Nachtschwärmer glotzten sie an, als
sei sie eine Alleinunterhalterin, die ihre Boots eintanzen und damit posen
wollte. Plötzlich stürzte die junge Frau, sch rie wie am Spieß und kauerte
auf der Tanzfläche. Alle blickten erschrocken auf die Frau in Schwarz, niemand
unterhielt sich mehr, niemand trank das Getränk weiter. Der DJ blickte mit
weit aufgerissenen Augen zu der schreienden und krampfenden Frau. Das Geschrei
übertönte die Musik. Da blendete der DJ die Musik aus. Jetzt waren nur noch
die m arkerschütternden Schreie zu hören. Da die Ohren der Teilnehmer zu vor
mit hoher Dezibelzahl und Stereo beschallt wurden, schmerzten di e Schreie der
Frau aus dem Zentrum der Tanzfläche umso mehr. Meh rere Personen eilten zu der
Frau, die immer noch auf dem Boden lag und sich vor Schmerzen wälzte. Es
stellte sich heraus, dass sie mit ihren Boots an den metallenen Parkettplatten
des Dancefloors hängen geblie ben war, deshalb stürzte und sich das
Kniegelenk auskugelte. Eine and ere Gruft-Frau streichelte ihre Schulter, um
ihr Trost zu spenden, denn sie hatte fürchterliche Schmerzen. Es wirkte, als
würde sie sterben. Zwei Typen standen besorgt daneben, wussten jedoch nicht so
recht, wie sie helfen sollten. Der Tanzsaal war bis auf die Schreie still. Alle
blickten stumm und besorgt zu der Frau. Einige Gothics bekamen ihrerseits
Schmerzen von den erschütternden Schreien. Inzwischen war das Licht
angeschaltet und blendete. Die ersten gingen raus vor das Gebäude, um frische
Luft zu schnappen und die Nerven zu schonen. Die Frau schrie weiter. Vor dem
Gebäude waren die Schreie kaum zu hören. Wenige Minuten später hielt ein
Krankenwagen. Drei Notfallsanitäter kamen ins Gebäude. Ihnen wurde der Weg
gezeigt. Die Sanis betraten den Discosaal, hörten und sahen das Elend und
gingen auf die Tanzfläche. Sie eilten zielstrebig zu der schreienden Frau.
Einer der Sanis kniete sich n eben sie, legte seine Hand auf ihre Stirn, um sie
zu beruhigen. Er stellt e Fragen. Die anderen zwei Sanis breiteten die Trage
aus und legten di e Frau darauf. Die Gruft-Frau wurde mit zwei Riemen
festgeschnallt und rausgetragen. Eine der Sanis ging neben der Bahre. Er wirkte
unerfahren. Die Frau hatte sich etwas beruhigt, jaulte jedoch immer noch
markerschütternd. Es war einfach nur schrecklich. Beim Raustragen herrschte
eine gespenstische Atmosphäre. Ihr Gesicht war hochrot, schmerz verzerrt und
tränenüberströmt. Eine halbe Minute später wurde die M usik langsam wieder
hochgefahren und die große Saalbeleuchtung aus geschaltet. Die Gäste brauchten
eine Weile um den Vorfall zu verdauen . Es wurde verhalten getanzt. Die
Stimmung blieb mies. Die Leute schi enen beim Tanzen auf ihre Steps zu achten,
als hätten sie Angst zu stür zen. Die Metallplatten wurden mit misstrauen
betrachtet. Einigen Besuchern war kalt. Der DJ spielte besonders düstere
Musik. Viele tranken sinnlos viel Alkohol. Es kam keine Stimmung mehr auf.
¿EXPLOITED FAND IN
KIEL NICHT STATT?
Liebe Punx,
ich möchte mich an dieser Stelle als Exploited-Fan outen. Eine Band, die über
Jahre eine solch solide Leistung bringt, muss öf fentlich gelobt werden. Die
Troops of Tomorrow ist besser als jede LP von AC/DC. In den 80ern wurde in fast
allen Discos AC/DC gespielt. Sogar Hecker war genervt. Wir hätten gern
stattdessen Exploited gehört . Doch das war unmöglich, denn es ging in den
Discos nicht demokrati sch ab. Es hätte eher in der Disco Freibier gegeben,
als dass sie Exploit ed auflegten. The Exploited war in Kiel verboten, und wer
beim DJ nach Exploited fragte, und es nicht bei einem Nein beließ, bekam
Hausver bot oder zumindest den Vogel gezeigt.
„Exploited? Bist du wahnsinnig?“
oder
„Exploited? So‘n Scheiß leg ich
nicht auf. Verpiss dich.“
The Exploited
war eine der wenigen Maßnahmen, mit denen wir uns
gegen die
Rocker behaupten konnten. Endlich konnten wir dem ganzen Hardrock-Müll eine
entscheidende Waffe entgegensetzen: Exploited . Mit der Troops of Tomorrow war
das Ende von AC/DC eingeläutet.
Trotzdem
traute sich in Kiel niemand, sich Exploited auf die Leder-Ja cke zu malen oder
zu sprühen. Da fehlte das nötige Selbstvertrauen. Ps eudos waren Exploited
nun wirklich nicht, auch wenn viele The Exploited vehement ablehnten. Wer
jesoch Exploited auf der Jacke trug, war bei allen unten durch und wurde
belacht, auch von den Hardcore-Punks.
Ich hatte
zwar noch keinen eigenen Plattenspieler, hatte aber schon die „Punks Not Dead“
von Exploited. Ich hatte mir die Scheibe bei Membran einverleibt. Leider konnte
ich sie nur hören, wenn meine Eltern nicht zu Hause waren. Mein Vater hatte
einen massiven Plattenspieler auf dem Wohnzimmerschrank auf Kopfhöhe stehen.
Hier konnte ich he imlich Exploited hören und manchmal so richtig aufdrehen,
dass die Fetzen flogen und der Nachbar irritiert war. Die Scheibe war sehr gut
p roduziert mit tollem Stereo-Effekt und Schlagzeug Surround Sound, Tribal
Drums mit Raumklang, wie du sie in natura nirgends wahrnehm
en konntest,
bloß auf LP, als hätten Exploited ein weltklasse Tonstudio für die Aufnahmen
verwendet, das sonst nur Bands wie Rolling Stones zuteil wurde. Dazu kam die
Creme de la Creme der Toningenieure. Für Exploited nur das Beste.
Jedenfalls
kam irgendwann das Gerücht auf, The Exploited hätten in Kiel gespielt,
irgendwo in der Bergstraße. Das glaube ich bis auf den he utigen Tag nicht,
auch wenn es mir bereits mehrere Leute unabhängig voneinander erzählt haben,
zumeist aus der Alt-Hippie Generation. Ab er was soll’s. Mir erzählte sogar
ein obdachloser kieler Alt-Hippie, dass er mal mit Jimmy Hendrix in einem
Zimmer übernachtet hat.
FREMDALKOHOL
Fremdalkohol in Dosen vs. Fremdalkohol in Flaschen
„Stell dir vor, auf einem Konzert werden nur Becher
herausgegeben, und du bekommst eine Bierdose an den Kopf, oder schlimmer noch,
eine Bierflasche. Da fragst du dich sicher, was läuft hier verkehrt?“
Ein
durchschhnittliches Wochenende in f*cking Kiel. Ich fahre mit d er Linie 64 in
die Bergstraße, habe Halbe Holsten dabei. In der letzten Reihe links vom Gelenk
aus gesehen sitzt der Hippie aus f*cking Stran de mit Ziel Hinterhof. Er trägt
wie gewohnt ein weißes Hemd, was insg esamt untypisch für das Hippie Pack ist.
Er scheint ein Hippie-Führer z u sein. Die Haare hängen offen über die
Schultern wie bei einen Beauty Queen. Ich reiße mir einen Halben auf, was
deutlich zu hören ist. Es zi scht und spritzt. Die Rückseite des Vordersitzes
ist mit Bierspritzern be netzt. Einige Fahrgäste drehen sich um oder blicken
zumindest über di e Schultern. Der f*cking Hippie grinst. Ich trinke nicht
sofort, warte ab, bis das Zischgeräusch vergessen ist. Jetzt trinke ich
vorsichtig das schäu mende Bier, denn bei Bodenwellen und adhoc-Bremsungen
kann es ü berschwappen. Bevor ich aussteige, quetsche ich die leere Bierdose
zw ischen den Sitz und Businnenverkleidung. Danach gehen ich zielstrebig zur
Bergstraße und lass mich nicht von anderen Besuffskies
dumm a nlabern. Die Türsteher kassieren und verteilen gierig Stempel. Wer de n
Handrücken hinhält, wird an den Handgelenken gepackt. Die Handf läche wird
nach oben gedreht, der Stempel auf die Pulsadern gedrückt . Ich weigere mich,
sage, ich habe Neurodermitis, bekäme Ausschlag, je doch nicht auf dem
Handrücken. Akzeptiert. Niemand wird nach Frem dalkohol kontrolliert. Ich habe
einen Halben in der Innentasche der ha lboffenen Lederjacke, unter der mein
schwarzes Meteors T-Shirt mit dem Cover der Wreckin‘ Crew zu sehen ist. Ich
stelle mich nach hinten i n die zweite Reihe hinter der Tanzfläche, trinke
heimlich das Bier. Der Minz-DJ spielt “Big Man Restless“. Ich zerknülle die
Dose, bücke mich und lege sie an die Wand neben dem versperrten Notausgang.
Es heißt,
Fremdalkohol sei ein großes Problem für die Gastronomie. Ein größeres Problem
ist der Umgang mit Punks, die Fremdalkohol hi neinschleusen. In Küstenstädten
kursiert der Begriff „Korkgeld“. Die Gerüchteküche um die Auslegung des
Korkgelds kannte keine Grenzen. Korkgeld kann bedeuten, dass Punks, die
Fremdalkohol mitbringen, di esen theoretisch weiter trinken dürften, sofern
sie eine Strafgebühr za hlen. Das wirkt zwar gewöhnungsbedürftig, kann aber
eine gute Lösun g sein, sofern das Korkgeld nicht ausufert. Das entpuppte sich
als Utopie. Es gibt eher die Fälle, in den der Konsum von Fremdalkohol mit
Körperverletzung und HV bestraft wird. Besonders Punks werden allzug ern
überhart angepackt. Es gibt theoretisch die Fälle, dass der Fremdal kohol
konfisziert und trotzdem Korkgeld kassiert und obendrein ein H V ausgesprochen
wird.
Stell dir
einen Konzertabend vor, bei dem zwei tolle Bands spielen. Be i den Besuchern
herrscht gute Stimmung. Eine lokale Punkband als Vorband, sowie eine US-Band
als Hauptact, ein Polit-Folk-Punk-Band, die s ich klar gegen harte Drogen und
die US-Drogenpolitik ausspricht. Das g eht sogar unter die Haut. Die Sängerin
erzählte, sie sei seit nunmehr 10 J ahren ohne Alkohol und habe zuvor ein großes
Problem mit Alk gehabt.
Ich hatte
eine alkoholfreie Phase, lebte Straight Edge. Deshalb habe ick den ganzen Abend
nur Wasser getrunken. Nach dem Konzert saß ich am Tresen, trank weiter
ausschließlich Wasser. Irgendein F*cking Ba stard hatte eine leere Bierdose
rechts neben mich gestellt, was ich nicht sah. Plötzlich blarrte mich der
Tresenmann an, ich hätte Fremdalkoh ol getrunken und hielt mir die Dose
drohend vors Gesicht. Es drohte s chon das nächste HV, also Hausverbot. Zuvor
hatte er mir mehrmals d as bestellte Wasser hingestellt. Ihm muss klar gewesen
sein, dass ich nur Wasser trank. Die Sau stellte mich weiter zur Rede, was das
soll. Der Einlauf ging weiter, dass sie an mitgebrachten Getränken kein Geld
verdienen. Ich reagierte
„Das ist mir als Kunde egal. Ich bin hier
kein Mitarbeiter, der darauf achtet, dass kein Fremdalkohol reingebracht wird.“
Da hatte der
Tresenmann immer noch nicht gerafft, dass der Halbe nicht von mir war. Ich
sagte ihm
„Ich trinke schon eine ganze Zeit keinen
Alkohol mehr trinke.“
Da gingen die
Anfeindungen weiter. Er schien mir nicht zu glauben. Da sagte ich
„Du kannst gern Fingerabdrücke nehmen
lassen, hier schräg gegenüber in der Blumstraße ist die Polizeizentrale
Blume. Du kannst die Dose da gleich abgeben und analysieren lassen. Meine
Fingerabdrücke si nd da nicht drauf.“
Als ich
plausibel machte, dass ich den ganzen Abend nur Wasser get runken habe, sollte
ich dazu Stellung nehmen, weshalb es mir egal sei, wenn Leute ihre eigenen
Getränke mit reinnehmen. Das Absurde ist, zuvor hatte mir derselbe Tresenmann
eine halbvolle Flasche Wasser vor meiner Nase weggenommen, sodass ich schrie
„Hej, da ist noch was drin.“
Er gab mir
die Flasche zurück, sagte
„Sorry, das habe ich gar nicht bemerkt.“
Inzwischen
war ich einer der Letzten im Laden, unterhielt mich mit einer geschassten
Ex-Kellnerin aus der Bambule. Der restliche Tresen war verwaist.
Wenig später
kam ein anderer Kellner aus dem Backstage- und Küchenbereich. Zuvor betrat der
den Tresenbereich nur, um sich selbst zu verköstigen. Jetzt schrie er uns
aggressiv und laut in die Ohren, dass es schmerzte.
„So, jetzt reicht es aber. Ihr seid die
letzten hier. Sofort raus mit Euch ... .“
Wir kamen dem
Rauswurf nach und mussten vor die Tür in den Regen. Es war da circa 1 Uhr. Da
weiß ich echt nicht, was ich davon halten soll. Lief das auf ein weiteres HV in
der Gastronomie hinaus, ja oder nein?
So gereizt
kann die Belegschaft beim Verdacht auf Fremdalkohol sein. Schon der Verdacht
kann zu einem HV führen, sofern Du auf den Fr emdalkoholvorwurf falsch
reagierst. Also “Don’t panic!“
Noch ganz
anders ist es auf Punk- und Rockfestivals. Hier lässt sich d er Konsum von
Fremdalkohol kaum unterbinden. Der Campingbereich ist sowieso vom
Festivalgelände abgegrenzt und weitestgehend unko ntrolliert. Es gibt jedoch
die Veranstalter, die Fremdalkohol grundsätzl ich gutheißen und nicht
unterbinden, vor allem um Stress zu vermeide n. Nicht nur, dass das zu viel
Arbeit bedeutet. Es könnte den Ruf der Ve ranstalter gefährden, wenn
Fremdalkoholtrinkende bestraft würden. Das trifft besonders zu auf subversive
Partys in der linkskreativen Szene oder auf halbprivate Partys mit Ausschank
für die, die es brauchen un d es sich leisten können. Allerdings können
Dosen und Flaschen schnell mal als Wurfgeschosse verwendet werden. Und es gibt
nichts Schlimmeres, als dass ein Bandmitglied oder ein Linienrichter eine
Bierflasche an den Kopf geworfen bekommt. Dabei sind Dosen das deutlich geri
ngere Übel, es sei denn, sie sind halbvoll.
MIT YOGA GEGEN
FLASHBACKS UND HALLUS
Während des
Zivildienstes fing ich mit Yoga an. Töle hatte mir das „D as 28-Tage-Programm“
von Richard Hittleman empfohlen. Richard Hittleman war ein New Yorker Yoga Guru,
der Millionen von Büchern ver kaufte und dazu einen Slot im US-Fernsehen
bekam. Ich arbeitete das Buch tatsächlich konsequent durch. Das interessante
an dem Buch ist, das s nicht nur für jeden Tag des Programms Yoga-Übungen
vorgegeben waren, sondern obendrein ein Leitthema im Umfang einer Buchseite,
das Empfehlungen für ein gesundes, yogamäßiges Leben gab. Mal ging es um den
gesunden Schlaf, mal um yogamäßige Ernährung, mal ums Rauchen, um Alkohol,
das Hormonsystem, mal um Meditation – 28 Themen. Ich fand das Buch interessant
und entschied mich dazu, das Program m durchzuarbeiten, zumal meine Gesundheit
eine Großbaustelle war.
Ursprünglich
hatte eine Psychologin aus Kiel das Buch Töles Mutter empfohlen, als diese
eine Krebsdiagnose bekam. Töle gab den Tipp an mich weiter, da auch ich durch
meinen Zivildienst arg angeschlagen w irkte. Ich war längst ausgeknockt mit
Helfersyndrom und Suchtproblematik. Wahrscheinlich hatte Töle Angst, dass ich
noch weiter abstürze, denn mein Zivildienst war schon eine krasse Sache.
Ich hatte
schon ein paar Mal meditiert, zusammen mit meiner damaligen Freundin. Das
geschah, als wir in ihrem Zimmer in Flintbek saß en. Das war eine neue
Erfahrung. Ein Fußballkollege nannte das Meditieren Kontemplation. Das war mir
neu. Auch autogenes Training versuchte ich mir autodidaktisch beizubringen,
lieh dafür ein Buch aus der Bücherei.
Insgesamt
arbeitete ich das 28-Tage-Programm bestimmt 4- oder 5- mal durch. Es war
irgendwann wie Gedächtnistraining. Bald liebte ich das Fotomodell aus dem
Buch, ihre wachen Augen und den glückliche n Gesichtsausdruck.
Mehrere Leute
im Freundeskreis hatten inzwischen das Yogaprogramm durchgearbeitet – auch
Töle und Heimerich. Einmal hatten wir eine Party am Westring, als wir alle im
Suff versuchten, den Kopfstand zu machen. Das war ein Mordsspaß.
Von Yoga
erhoffte ich mir als Kifferjunge Linderung für meine ange schlagene
Kifferlunge. Mir war klar, dass ich regelmäßig Yoga machen müsste, um den
lauernden Krebs im Keim zu ersticken.
Fakt ist,
dass ich meine erste Line erst zog, nachdem ich das Yoga-Programm zwei- oder
dreimal durchgezogen hatte. Da hatte ich immer noch keinen richtigen Yogakurs
besucht.
Es dauert
viele Jahre, bis ich meinen ersten richtige Yogakurs besuch te. Es war Hatha-Yoga
Ich fühlte mich während des Kurses wie in einer Fangopackung. Mein Yogalehrer
warf mich irgendwann raus, weil ich die Kursgebühr zum Stichtag noch nicht
gezahlt hatte. Da war er sehr radikal. Wenn es bei Yoga ums Geld geht, wird
hart durchgegriffen. Da können Yoga-Lehrer ungeahnte Aggressionen freisetzen,
auch die Frauen, wenn du um die Stundengebühr feilschen wolltest.
Nachdem ich
das Programm zum vierten Mal durchgearbeitet hatte , hatte ich keine Lust mehr
auf Zigaretten. Ich hörte von heute auf morgen mit dem Rauchen auf, und es
interessierte mich nicht mehr. Nac h wenigen Wochen stellte ich fest, dass ich
eine ganze Menge Geld da durch sparte. Auch die Alkoholausgaben fielen weg.
Dennoch waren die Folgeschäden meines Punk-Party-Lebens noch nicht ganz
eingedäm mt. Obwohl auch hier nicht geklärt war, ob diese Schäden erst durch
Yoga zum Vorschein kamen.
Mir war nicht
bewusst, dass es mal so etwas wie Punkrockyoga geben könnte, denn darauf wäre
ich gleich umgeschwenkt. Yoga zu Punkmusik – Kundalini-Yoga, genau genommen –
war schon geil, ein echter Spaßfaktor.
Ich nahm an
insgesamt 6 Punkrockyogasitzungen teil – in Konzerthallen und auf Festivals.
Später
machte ich auch zu Hause Punkrockyoga. Hörte dazu Deutschpunk-Sampler, Dead Kennedys
und Chron Gen.
BACK IN ‘81 - DER
SPATEN AUS BROKDORF
Das
AKW-Gegner-Museum hat ein neues Objekt und damit einen neuen Publikumsmagneten:
den Spaten aus Brokdorf. Bei diesem Objekt handelt es sich um den original
Spaten, mit dem ein Demonstrant versuchte, einen Polizeibeamten zu liquidieren.
(tosender Applaus)
Freundlicherweise
hat ein AKW-Gegner und Brokdorf-Teilnehmer den Spaten unserem Museum zur
Verfügung gestellt. Wie Sie hier an der scharfen Metallkante sehen, klebt an
dem Spaten sowohl Blut als auch weiße Farbe vom Polizeihelm des geschädigten
Polizisten. Ob das Blut vom geschädigten Beamten stammt, der unten auf dem
Pressefoto zu sehen ist, konnte nicht geklärt werden.
(Anmerk. d. Autors: Ich hab damit nichts zu tun, lasst mich
endlich in Ruhe.)