Montag, 1. September 2025

KNEIPENTERRORISTEN in der Disco Böll

Neues von den subversiven Kneipenterroristen:

Die Kneipenterroristen in der Disco Böll

 

Es bleibt ein Rätsel, weshalb so viele junge Menschen selbst heute noch einen Kult um die Kneipenterroristen betrieben, sogar Leute aus der Intellektuellen Szene, obwohl die Äußerungen des SC durchaus rechte Tendenzen aufweisen, besonders in Interviews mit der Presse.

 

Als ich das nächste Mal in die Bergstraße fuhr, wurde im Subway noch Eintritt genommen. Deshalb klapperte ich andere Läden in der Zappelgasse ab und stellte mich zumindest ins Foyer, um zu sehen, ob noch Eintritt genommen wird.

Wenn du aus Richtung Disco Flohmarkt durch den Gang auf den Eingang zum H. Böll zugingst, kamst du zunächst an einer kleinen Tresenniesche auf der linken Seite vorbei, deren Rückseite in die Tiefgarage des Parkhauses führte. Wenn du jedoch ein Stück weiter geradeaus auf das Böll zugingst, führte der Weg direkt am Alkoholtester vorbei, der nur wenige Meter vor dem Haupteingang der Disco H. Böll hing.

      Jedenfalls war im Böll kein Eintritt mehr, sodass ich einen kurzen Rundgang wagen konnte. Ich ging meistens entgegen dem Uhrzeigersinn um die Tanzfläche auf der rechten Seite am DJ-Pult vorbei, das nicht mit dem Tresen verbunden war. Es stand abgetrennt ungefähr fünf Meter von der linken Seite des Tresens entfernt, und die Gäste konnten zwischen dem linken Ende des Tresens und der DJ-Zone durchspazieren. Ich passierte die DJ-Loge. Der DJ arbeitete hochkonzentriert und legte ausschließlich Vinyl LPs mit Headbangermusik auf. Ich lief den Gang zwischen Tresen und den Spieltischen für Billard und Schwarzlicht-Hockey entlang, der die gesamte Tresenrückseite entlang bis zu den Herrentoiletten verlief, ging weiter um die Tanzfläche herum zurück Richtung Ausgang. Auf meinem Rundgang wurde mehrmals leicht angerempelt – vermutlich unabsichtlich. Ferner wurde ich von der Rockerszene mehrmals scharf angeglotzt und gemustert.

      Wenn ich Bekannte traf, zumeist trinkfesten Metalheads aus Kiel-Nord, oder Vorgänge auf der Tanzfläche meine Aufmerksamkeit erregten, blieb ich durchaus mal stehen, um zu glotzen oder mich zu unterhalten. Jedoch war die Musik für mich langfristig unerträglich, denn ich hasste alles an Metal und Hardrock und hörte ausschließlich Punk und Wave.

      Die Tanzfläche war quadratisch und mit ebenso quadratischen silberfarbenen Metallplatten ausgelegt. Hier standen überall Disco-Gänger aus der Metal-Szene. Du sahst viel Leder, lange Haare, Vukohilas, Headbanger, Jeans, Aufnäher und sogar Kutten. Auch die Veranda mit Sitzgelegenheiten zwischen Herren- und Damentoilette war gut besucht, als liefe hier ein Skatturnier. 

      Der Tresen im Böll war mindestens ebenso lang wie der im Hinterhof zwei Etagen höher im selben Gebäude. Einer der Tresen war mit Sicherheit der längste Tresen Kiels. Die Uhrzeit muss so zwischen ein und zwei gewesen sein. Besonders im beleuchteten Tresenbereich standen die Rauschschwaden wie Gardinen in der Luft. Es wurde rumgeast mit Getränken, sodass die Tresenkräfte mit dem Wischen nicht hinterherkamen. Auf der Theke standen teils Pfützen, sodass du einen Bierdeckel als Abzieher verwenden konntest. Vereinzelt lagen eingesiffte Getränkekarten aus. Die unzähligen Aschenbecher auf dem Tresen, an den Stehtischen und auf den Ablagen an der Tanzfläche quollen über. Sie waren randvoll mit ausgedrückten Kippen von Filterzigaretten und rochen unsportlich.

      An diesem Abend herrschte durchweg gute Laune. Die Meute am Tresen stand dichtgedrängt, ein Ansturm, als gäbe es etwas umsonst. Von den meisten Leuten sahst du nur den Rücken. Die Rocker saßen entweder auf Barhockern oder lehnten am Tresen, die Unterarme aufgestützt. Ich entschied mich, eine ganze Runde um den Tresen zu gehen. Plötzlich fielen mir ein paar Kuttenträger auf. Auf den Banderolen auf dem Rücken stand in großen Lettern der Name „Kneipenterroristen“. Mir war sofort klar, es handelte sich dabei um eine versoffene Rockergang oder gar einen neuen Kieler Straßenclub. Letzteres wäre der worst case für die Cops, die seit Anfang der 80er schon mehrere krasse Kieler Straßenclubs live auf der Straße erleben mussten. Doch diese hier schienen die Krönung der Geschmacklosigkeit zu sein.

      Es waren circa zehn bis 15 Kneipenterroristen anwesend, die einen Kieler Slang sprachen, der old-school und makaber wirkte. Es waren Low-Lifes und Schuldropouts mit rudimentärer Schulbildung.  Ausbildungsplätze Fehlanzeige, Support durchs Sozialamt Fehlanzeige.

Wer die erste große Welle der Straßenclubs in Kiel live miterlebt hat (Black Tigers, Tigers, Mad Boys, Mad Fighters, Living Deads, Bloody Eagles, Mad Butchers, Bombers), dem mag der der Name des Straßenclubs Kneipenterroristen anfangs etwas lächerlich vorgekommen sein. Doch selbst die Hartgesottenen entwickelten bald Unbehagen, aus Angst, teils aus Respekt. Augenscheinlich brauchten die Straßenrocker der Kneipenterroristen ihren Small-Town-Riot in der Berger. Diese unterste Trinker- und Rockerproletariat vom Ostufer okkupierte zwar den Tresen, jedoch nicht zusammen als Gruppe, sondern verstreut zwischen den vielen Nicht-Kuttenträgern. Alle Mann schienen sich zu kennen, unterhielten sich intensiv. Kiel zog an einem Strang, während die Hauptblickrichtung in Richtung Tresenpersonal ging, das  ausschließlich aus Frauen bestand, oder vis-a-vis zur gegenüberliegenden Seite des Tresens – entweder zur Tanzfläche oder in die düstersten Ecken mit den Spieltischnischen mit Billard und UV-Licht-Hockey. Die lauten Klack-Geräusche beim Schlagen des weißen Puks mit den weißen Schiebeschlägern und das Versenken der Scheibe in die Torschlitze waren am Tresen permanent zu registrieren. Einige spielten dieses UV-Licht-Hockey stundenlang, bis zur Ekstase, gingen nicht auf Sieg, sondern auf maximale Anzahl der Pukwechsel. Die Tresenfrauen schenkten im Eiltempo ein, sowohl Bier, Mischung als auch Kurze. Sie sondierten die Bestellungen, öffneten die Kühlschränke, kassierten ausschließlich bar und sorgten für geordnete Verhältnisse hinterm Tresen. Security brauchte hier niemand. Das regelten die Mitarbeiter und deren Anhang quasi ehrenamtlich – notfalls mit Faust und Kopfnuss.

      Das Böll schien überzukochen mit guter Laune. Hier traf sich das Hafenstadtproletariat. Hardrock-Frauen waren hier mit gut 30 Prozent deutlich in der Minderheit. Es war die Uhrzeit, zu der der Alk am besten lief, der Kipppunkt in der Disco, auf dem alle euphorisch waren und frenetisch schrien, bis gegen Ende langsam Erschöpfung, Suff und Müdigkeit die Oberhand gewannen. Daran konnten die Unmengen an Rum-Schuss nichts ändern. Aus den Boxen schallten Heavy Metal und Hardrock der übelsten Sorte, Musik, die meinereiner verabscheute, die jedoch die anwesenden Metal-Fans vergötterten. Der engstirnige DJ zog das gewohnte Programm durch. Obwohl die Disco ebenerdig war – ohne Treppen und Absenkungen, jedoch mit vereinzelten Stufen, über die du stolpern konntest –, stand der DJ sichtbar erhöht, sodass er den besten Überblick über die Tanzfläche hatte. Der DJ legte das Vinyl der Metal- und Hardrockklassiker der letzten zehn bis fünfzehn Jahre auf, alle Top-Hits von Motörhead, Iron Maiden, AC/DC, Judas Priest und wie sie alle hießen, sodass die Rocker sich ergötzten. Hätte jemand Punk gefordert, aufgelegt oder gar danach getanzt, hätte es eine Katastrophe gegeben und Blut wäre geflossen.

      Ich traf ein paar Bekannte aus dem Jugendtreff Buschblick, allesamt Heavy-Metal-Leute, teils ehemalige Living Deads, ein Straßenclub Kiel-Nord, der längst keine Kutten mehr trug. Der Club war nicht mehr aktiv und hatte sich im Prinzip aufgelöst. Sofern ich sie vom Fußball kannte, wechselte ich ein paar Wörtchen mit ihnen, wenn der Hardrocklärm und der Alkoholmissbrauch es zuließen. Viele wirkten euphorisch und jokular, bekamen das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Das war die böse Fratze des Heavy Metals. Der Laden explodierte im Hardrocktaumel, als würden sie united den Advent der Kuttenträger Kneipenterroristen abfeiern. Doch all diese Asi-Rocker galten als rechtslastig, sowohl die Living Deads als auch die Kneipenterroristen. In den Augen der Polizei waren solch subversive Menschen eine eindeutige Perversion.

      Jetzt ging ich im Uhrzeigersinn um den Tresen. Im Gang zwischen Tresen und Tanzfläche kamen mir zwo Kuttenträger der Kneipenterroristen entgegen mit überschwappenden Bieren in den Händen. Unmittelbar davor ging ein unrasierter Mann in hellbrauner Schimansky-Jacke, der zu den Kuttenträgern gehörte. Das war kein Geringerer als Bernd Knauer, der Präsi der Kneipenterroristen. Sie waren offensichtlich nicht mehr Herr ihrer Sinne. Der „Club vom Ostufer“ war Stolz, dass er sich an diesem Abend so erfolgreich in der Disco Böll präsentieren konnte, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Dieser Abend war der Durchbruch der Kneipenterroristen in der Bergstraße. Sie waren jetzt Stadtthema Nummer eins. Da deuchte es vielen, dass diese Asi-Rocker der kommende große Straßenclub in Kiel sein würden. Wer sollte sie jetzt noch stoppen? Das Westufer schien geschlagen.

      Doch letztendlich hatten wir es hier erneut mit subversiven Asi-Rockern zu tun, die den Spießern Magenkrämpfe bereiteten. Schon ihre Sprache war eine Schande für Kiel. Sie waren so was von asozial, dass du zwangsläufig wieder Sympathien aufbautest, wenn da nicht dieser latente Straßenrassismus gewesen wäre – und darin bestand die Gefahr. Statt sich zu empören, mussten ihre Artgenossen schmunzeln und kuschen. Doch es wäre besser, sich nicht auf deren Niveau herabzulassen, besonders in puncto Straßenrassismus.

 

 

 

Mittwoch, 9. Juli 2025

Lesung auf der Mülldeponie Schusterkrug

Spontane Lesung auf dem Gelände der ehemaligen Mülldeponie Schusterkrug (am Samstag, 5.7.2025). Vorgetragen wird das Anfangskapitel des Kieler Punkromans PSEUDO, das von ebendiesem Müllplatz handelt.  Das ist das Resultat. Den vorgelesenen Text, das Eingangskapitel des Punkromans PSEUDO, findet ihr weiter unten in Kursivdruck.


Die Mülldeponie

 

I

ch verbrachte einen Teil meiner Kindheit auf der Mülldeponie Schusterkrug. Die Müllhalde nannten wir liebevoll Ramscher. Dort suchten wir, mit unseren Ramscherhaken im Abfall scharrend, nach brauchbarem Unrat wie Abzeichen, Kokaden und Uniformknöpfen. Wir fanden Nazi-Seekarten, Grabsteine, Patronenhülsen, Gewehrübungsgranaten made in Israel, Panzerfaustumhängetaschen – all den ganzen Dreck – und stocherten in Haushalts-, Militär- und blutigen Krankenhausabfällen, bevor die Müllberge von Planierraupen untergekehrt wurden. Es wimmelte hier von Ratten, Krähen und Möwen, die sich verflüchtigten, wenn wir uns bemerkbar machten. An einer Stelle hing eine tote Krähe an einem Draht kopfüber von einer Metallplanke. Hier und da verreckte Möwen und halbverweste Ratten.

Jedes Mal, wenn wir den Müllplatz betraten, mussten wir die Bahngleise überqueren, über die zu bestimmten Uhrzeiten fabrikneue Panzer von langsam fahrenden Zügen aus Friedrichsort abtransportiert wurden. Die Weinbergschnecken, die wir sammelten und auf die Bahngleise legten, um sie von den Panzertransporten plattwalzen zu lassen, hatten nur geringe Überlebenschancen. Unsere Schrottplatzfundstücke tauschten und verscherbelten wir später an andere Kids aus dem Ort und verheimlichten, dass sie bereits im Dreck lagen. Vermutlich war das Stochern im Müll ein Wegbereiter für meine spätere Leidenschaft zum Punk.


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 #lesung #actionreading #punkstory #pseudo #kielerpunkroman #mülldeponie #schusterkrug #kiel #buchvorstellung #booktok



 

Donnerstag, 20. März 2025

PSEUDO 4 draußen +++ PSEUDO 4 draußen +++ PSEUDO 4 draußen +++ PSEUDO 4 draußen +++ PSEUDO 4 draußen +++ PSEUDO 4 draußen +++ PSEUDO 4 draußen +++ PSEUDO 4 draußen +++ PSEUDO 4 draußen +++

 

PSEUDO revisited (PSEUDO 4) ist endlich fertig. In dem Video blättere ich kurz durch das Buch. Es war wieder eine Menge Arbeit, aber es hat sich gelohnt. Neben den rund 70 Kapiteln gibt es eine ganze Menge an Skizzen, Fotos und Fragmenten. Besonderer Schwerpunkt liegt diesmal auf dem 80er Plattenversand VINYL BOOGIE aus Berlin. Mit vielen Textschnipseln aus den Pissgelben Punklisten von VINYL.

Danke Punkrock !

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Sonntag, 19. Januar 2025

Punk Story PSEUDO

 

My Punk Story PSEUDO is available both in English and in German. It contains more than 100 photos of the German punk scene in the 1980s. 
Worldwide available at Amazon.
Fell free to share the post. 🙂   
 




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Montag, 6. Januar 2025

BLUTSPRITZER AN DER GITARRE




 BLUTSPRITZER AN DER GITARRE

Wenn er nicht gestorben ist, so spielt er sich die Finger immer noch blutig.

An Tøles Gitarre waren stndig Blutspritzer zu sehen. Wenn er Songs wie „Deutsche Fette Kuh“ von Jürgen Zeltinger auf seiner Klampfe spielte, schlug er die Gitarrenseiten ohne Plektron mit den Fingern dermaßen hart an, dass er sich die Haut neben den Fingerngeln einriss und frher oder spter anfing zu bluten. Das strte ihn nicht. Er spielte einfach weiter und ließ sich nichts anmerken, hielt trotz starker Schmerzen sogar den Tonus der Stimme aufrecht. Er war schmerzresistenter als ein Fakir. Wenn Leute mit ihm im Zimmer saßen, auf einem Punk-Sit-in oder einer Party, so war es ihm egal, wenn das Blut spritzte, und er spielte in gewohnt aggressiver Weise, bis die Finger und die Gitarre wirklich blutig aussahen. Irgendwann wurde er darauf hingewiesen:

„Ey, deine Gitarre ist blutig!“
Tøle antwortete nicht darauf, denn beim Gitarrespielen war er wie ein Autist. Das Blut wurde schließlich zur Kruste, die Blutspritzer vergilbten, wurden braun und pissgelb.

Seine Bloody Gitarre war nicht besonders wertvoll. Er hatte frher in der Teenagerzeit von mir bei einem Tauschgeschft eine E-Gitarre bekommen. Ich weiß nicht, was aus dieser E-Gitarre geworden ist.

Tøle kreierte durch sein Geschrammel einen eigenen Stil. Andere machten es ihm nach, bis es als positives Zeichen galt, wenn beim Gitarrespielen Blut floss, auch wenn nur in Maßen. In gleicher Weise zeigte meine hellbraune Akustikgitarre, die ich von meinen Eltern zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, bald erste Blutspuren, ohne dass Tøle jemals mit der Gitarre gespielt hatte. Die Flecken konnten also nur von mir selbst stammen. Mit der Zeit verloren die Spritzer gleichfalls an Intensitt und wirkten auf dem preiswerten Holz ockerpissgelb.

Die Finger konnten sogar bluten, wenn ein Plektron benutzt wurde, wenn es falsch oder umstndlich gehalten wurde. Egal ob an den Saiten einer E-Gitarre, Western- oder sogar Nylongitarre, du konntest dir berall die Haut aufratschen und lngst verheilte Wunden wieder aufreißen. Die Gewalt war entscheidend.

Doch bei Tøle war es wirklich krass. Er ließ sich nichts anmerken, wenn das erste Blut austrat, spielte einfach immer weiter und verzog keine Miene. Als die ersten Hinweise kamen wie „Du blutest“ oder

„Da ist Blut an der Gitarre!“,
da schien er innerlich zu l
cheln, spielte weiter und tat so, als hätte er nichts gehört.

Er ließ nur ungern Gste an seine blutige Gitarre. Nchtern ekelten sich ohnehin die meisten, die sonst jede Klampfe sofort in die Hand nahmen.

Schon bald zog Punk-Tøle von der Wik nach Gaarden in die Kirkestraße. Er wohnte hier fortan in einer Zweier-WG mit einem ehemaligen Schilkseer. Ich besuchte die WG ein paar Mal, nutzte die Gelegenheit, um mit dem Fahrrad von Friedrichsort nach Gaarden zu fahren.

Ich wunderte mich immer wieder über Tøles Musikgeschmack und fragte mich, wo er seine Platten herzauberte. Dazu gehrten Bands wie Marginal Man, Attak, F.U.’s, The Easter, Dag Nasty, Uniform Choice und Mega City Four. Auch Tøle verkaufte seine Punk-Perlen, als er in Geldnot war. Das bliche Syndrom, das fast jeder Punk durchlebte. Geldnot war dafr verantwortlich. Jetzt waren seine Punk-Platten weg, obwohl er weiterhin nichts anderes als Hardcore-Punk hrte. Tøle hrte ohne die LPs auch in Zukunft Punk, weil er tonnenweise Punk-Tapes liegen liegen. Nachdem er gar die Landspeed Records von Hsker Dverußert hatte, besorgte er sich die Scheibe spter erneut.

Das Arbeitsamt steckte mich eines Tages in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Das war in veralteten Brorumen in der Nhe der Spitze der Kieler Frde auf Ostuferseite. Da traf ich pltzlich Tøle wieder. Wir saßen zusammen mit rund 30 arbeitslosen Kielern in ein paar Pseudobros und hatten nicht den Eindruck, dass irgendwer uns beruflich weiterhelfen wollte. Ganz im Gegenteil. Als Tøle schließlich eine große Fliege an der Decke sitzen sah, behauptete er felsenfest, das sei eine Kamera, mit der wir ausspioniert werden sollten. Dermaßen groß war das Misstrauen gegenüber dem Arbeitsamt.

Manchmal erweckte er den Eindruck, er sei eine Art Minus-Punk. Doch dafr war er insgesamt zu gutmtig. Was Tøle auf seiner Gitarre so spielte, war im Prinzip der pure Terror, und es gefiel nur seinesgleichen. Wir hatten Angst, dass er sich eine Blutvergiftung zuziehen knnte. Sogar das Thema Aids kam auf, wenn die blutverschmierte Gitarre am spten Abend auf einer fortgeschrittenen Party die Runde machte. Denn im Suff wollten die anderen Punks und Pseudos mal die Klampfe in die Hand nehmen, um zu zeigen, was sie draufhatten. Trotzdem konnte niemand so konsequent singen wie Tøle. Er wirkte wie ein versteinerter Protestsnger.

Da Tøles Gitarrespiel ohne Plektron Schule machte, und alle ohnehin schnellen Punk und Hardcore bevorzugten selbst mit der Akustikgitarre , so konnte es passieren, dass andere, Tøles Stil imitierten. Sie hackten auf der Gitarre herum, ratschten mit Fingern, Fingerngeln, Fingerkuppen, Handballen, Faust und Mittelhandknochen oder sogar ergnzend mit Pfennigstcken als Plektron. Jetzt konnten auch bei den anderen Gsten die Finger anfangen zu bluten, bis die Gitarre das Blut mehrerer Punks auf dem Korpus trug, auf dem Gitarrenhals und auf den Saiten. Im Extremfall wurde die Gitarrensession zum Blutbad, erzeugt von blutigen Fingern und einer berharten und unreflektierten Spielweise und Anschlagtechnik. Von Fingerpicking war da keine Spur, was jeder anstndige Gitarrenlehrer gefordert und gefördert htte. Ein solcher würde wohlmglich durch Wegnahme der Gitarre das Inferno un- terbrechen oder laut „Halt!“ oder „Stopp!“ rufen, denn all das hatte ohnehin nichts mit wohlklingender Gitarrenmusik zu tun. Es war Punkrock pur auf der Akustikgitarre, auch wenn im Hintergrund schon wieder Hsker Dlief. 

 

#punk #pogo #hardcore #blood #guitar #fcknzs